Artikel vom 24.04.2008




Nachdem die Festsetzungsverjährung im Bereich des Kommunalabgabenrechts durch die Rechtsprechung des OVG Sachsen-Anhalt kaum noch erhebliche Bedeutung hat und damit zugleich das früher einmal als verfassungsrechtlich bedeutsam aufgefasste Prinzip der Rechtssicherheit für den Bürger weitgehend abgeschafft ist, wurde nun Überreste dieser selten gewordenen Population entdeckt: Es gibt sie womöglich also doch noch. In einigen Spezialfällen entfaltet das Rechtsinstitut der Verjährung doch nach Wirkung. Ein aktuelles Beispiel:

In vielen Teilen unseres Landes haben Bürger zum Ende des vergangenen Jahres ein besonderes Weihnachtsgeschenk von ihrem AZV erhalten. Sie fanden in ihrem Briefkasten einen Abwasseranschlussbeitragsbescheid für Grundstücke vor, die zwar bebaubar, aber noch unbebaut und bislang auch nicht an die Abwasseranlage angeschlossen sind.
Hintergrund dieser Abläufe ist, dass nach dem Zusammenschluss von Verbänden ganz neue Beitragssatzungen erlassen worden waren, die nun erstmals regelten, dass die Beitragspflicht nicht erst mit dem tatsächlichen Anschluss, sondern schon mit der bloßen Möglichkeit der Inanspruchnahme der Einrichtung entsteht. Eine solche Satzungsbestimmung hat beispielsweise der AZV Salza im Jahre 2003 verabschiedet. Das bedeutet nun zunächst, dass spätestens am Ende des Jahres 2003 die Verjährungsfrist für solche Grundstücke begann, die theoretisch anschließbar waren, weil vor der Grundstücksgrenze ein Hauptsammler installiert worden war. Die Verjährung wäre dann mit dem Ablauf des Jahres 2007 eingetreten. Indem nun also der Verband rechtzeitig vor Jahresende Beitragsbescheide verschickt hat, scheint für ihn alles gut zu sein. Ist das wirklich so? Bei genauem Hinsehen, ergeben sich erhebliche Zweifel.

Das Problem ist nämlich, dass das KAG LSA schon seit dem Jahre 1997 das Entstehen der Beitragspflicht anders definiert hatte als die Altsatzungen. Nach diesen neueren gesetzlichen Regelungen kommt es allein auf die bloße Möglichkeit des Anschlusses aus, um die sachliche Beitragspflicht entstehen zu lassen. Es erhebt sich dann aber die Frage, ob die alten Satzungsregelungen, die noch auf den tatsächlichen Anschluss abgehoben hatten, nicht schon seit 1997 wegen des Verstoßes gegen höherrangiges Landesrecht überholt waren und ob dann zumindest für den Beginn der (Festsetzungs-)Verjährung nicht doch das höherrangige Recht gelten müsste. Dann wären aber die Ansprüche der Verbände längst verjährt. Denn die Beitragspflicht wäre mit der Fertigstellung der Baumaßnahmen und der theoretischen Möglichkeit des Anschlusses entstanden und die Verjährung hätte in diesem Augenblick schon zu laufen begonnen, unter Umständen also bereits mit Ablauf des Jahres 1997. Es kommt dabei nicht darauf an, ob die Beitragsschuld nach der Satzung auch zahlungsfällig ist. Denn unterschieden werden muss dabei zwischen dem Entstehen der sachlichen Beitragspflicht dem Grunde nach und dem Eintritt der Zahlungs-Fälligkeit der Beitragsschuld. Die Fälligkeit der Beitragsschuld ist für den Beginn der Festsetzungsverjährung ohne rechtliche Bedeutung (OVG LSA B. v. 11.08.04, Az 2 M 154/03).
Der AZV Salza versuchte sich gegen eine solche Rechtsfolge mit dem Argument zu wehren, dass ja nach den fraglichen Bestimmungen des KAG die Satzung durchaus auch einen „späteren Zeitpunkt“ für den Beginn der Beitragspflicht vorsehen könne. Diese Auffassung offenbart aber ein profundes Mißverständis der Regelungen des § 6 Abs. 6 Satz 4 KAG-LSA. Denn diese Regelung muss im systematischen Zusammenhang mit dem § 6 Abs. 2 Satz 2 KAG-LSA gelesen werden.

Daraus ergibt sich, dass nur für DIE Fälle, in welchen durch das nachträgliche Inkraftsetzen einer erstmals wirksamen Satzung eine Beitragspflicht für bereits schon vorhandene Einrichtungen entstehen würde, DIESE Satzung eine späteren Zeitpunkt bestimmen kann (OVG NW, OVGE 37, 188, 189). Diese Regelung betrifft demnach nicht unseren Fall, dass schon eine wirksame Altsatzung bestanden hatte, sondern nur solche Sachverhalte, bei denen im Zeitpunkt des erstmaligen Inkrafttretens der Satzung die übrigen tatbestandlichen Voraussetzungen bereits vorgelegen haben. Nur für diese Fälle soll eine Art von „Übergangsregelung“ geschaffen werden (so für eine wortgleiche Regelung im KAG-NRW: OVG NW, OVGE, 37, 188,189; OVG NW, KStZ 76, 158). Daraus folgt aber zugleich, dass durch die Bestimmung eines späteren Zeitpunktes in der alten Satzung nicht etwa die Grundregel, dass mit der Möglichkeit der Inanspruchnahme der Einrichtung die Beitragspflicht im Prinzip beginnt, wieder außer Kraft gesetzt werden könnte. Dafür gibt das Gesetz nichts her. Es wäre auch widersinnig, einerseits kategorisch im Detail festzulegen, welche tatbestandlichen Voraussetzungen für den Beginn der sachlichen Beitragspflicht vorliegen müssen, um dem Satzungsgeber dann sofort wieder freie Hand zu lassen, welche ganz anderen Merkmale er für den Beginn der sachlichen Beitragspflicht abweichend von der gesetzlichen Regel zur Anwendung bringen möchte. Dann hätte man im Gesetz ja gleich formulieren können: "Die Gemeinden k ö n n e n festlegen, dass die sachliche Beitragspflicht mit der Möglichkeit der Inanspruchnahme der Einrichtung beginnt."

Das Motiv für die geltende gesetzliche Regelung lässt sich den Gesetzesmaterialien entnehmen. Hierzu wird in der 2. Lesung im Landtag am 25.09.1997 vorgetragen: „Mit dieser vom Wasserverbandstag angeregten Änderung läßt sich zum einen der Zeitpunkt der Beitragsentstehung künftig klarer bestimmen, zum anderen entsteht die Beitragspflicht auch für die in der Vergangenheit nach Inkrafttreten des KAG abgeschlossenen Investitionen erst mit Vorliegen der ersten wirksamen Beitragssatzung.“ Es ging also nur darum, dass die erste gültige Satzung den getätigten Investitionen nachfolgt. In unserem Fall waren aber die Investitionen unter einer schon gültigen alten Satzung des AZV durchgeführt worden.

Es ging also, wie auch der Redebeitrag von Curt Becker (CDU) im Landtag am 04.09.1997 zeigt, alleine darum, zu erreichen, dass viele Verbände nach fehlerhaften Gründungen Beitragssatzungen völlig neu erlassen mussten, die sich dann auf Maßnahmen zu beziehen hatten, welche längst abgeschlossen waren. Aus diesem Grunde sah man eine Notwendigkeit zur Einführung der Regelung, dass die Beitragspflicht frühestens mit dem Inkrafttreten der erstmals gültigen Satzung entsteht, weil man sonst fürchtete, überhaupt keine Beiträge für solche schon abgeschlossenen Maßnahmen mehr erheben zu können.

Damit dann nicht in der Folge durch das Verabschieden einer (nachträglichen) Satzung eine Vielzahl von Beitragspflichten gleichzeitig entsteht, wenn man dem Satzungsgeber nicht die Möglichkeit einräumt, hierfür (und nur hierfür) einen späteren Zeitpunkt zu bestimmen, kam es zur ergänzenden Bestimmung, dass in dieser erstmals gültigen Beitragssatzung ein späterer Zeitpunkt für das Inkrafttreten der sachlichen Beitragspflicht genannt werden kann (Beispiel: "..entsteht ein Jahr nach Inkrafttreten der Satzung"). Diese Ergänzung beinhaltet aber keineswegs eine Ermächtigung, ein ganz anderes Tatbestandsmerkmal für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht zugrunde zu legen, wie zB den tatsächlichen Anschluss des Grundstücks (Dietzel in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Rdz. 572 zu § 8).
Die hier diskutierte Problematik ist demzufolge von der zitierten Sonderregel gar nicht erfasst. Das verkennt der AZV. Denn hier ist die Beitragspflicht nicht etwa durch eine erstmals verabschiedete Satzung am 27.10.2003 entstanden, sondern schon vorher kraft Gesetzes, nachdem hier unter der Geltung einer längst bestehenden, alten Satzungsregelung des Rechtsvorgängers des AZV die Möglichkeit der Inanspruchnahme tatsächlich schon lange vorhanden war. Dass die alte (gültige) Satzung ein anderes Tatbestandsmerkmal für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht vorsah, hindert nicht, dass gleichwohl aufgrund eines höherrangigen Gesetzes, nämlich des KAG-LSA, die sachliche Beitragspflicht entgegen den veralteten Regelungen der Satzung bereits mit dieser längst vorhandenen "Möglichkeit der Inanspruchnahme" kraft Gesetzes entstanden ist und damit die Verjährungsfristen zu laufen begannen.

Indem die alte Satzung des Vorläuferverbandes das Entstehen der Beitragspflicht noch vom tatsächlichen Anschluss des Grundstücks abhängig machte, wird sie demnach nicht den Intentionen und dem Sinn des § 6 Abs. 6 Satz 4 KAG-LSA gerecht. Denn abgesehen davon, dass durch diese alte Satzung die Beitragspflicht nicht erstmals („frühestens“) entstand, bedeutet diese Vorschrift nicht, dass damit nach Belieben das Entstehen der Beitragspflicht z.B. vom tatsächlichen Anschluss oder von weiteren materiellen Voraussetzungen abhängig gemacht werden kann. Vielmehr soll durch diese Bestimmung lediglich die Möglichkeit eingeräumt werden, konkret errechenbare, zwar spätere, aber eben eindeutig bestimmbare Termine festzulegen (Dietzel in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Rdz. 572 zu § 8). Die hier maßgebliche alte Satzungsbestimmung legt aber gerade n i c h t solche konkret bestimmbaren Termine für den Beginn der sachlichen Beitragspflicht fest, sondern legt ein unzulässig gewordenes Tatbestandsmerkmal (nämlich den tatsächlichen Anschluß) dem Entstehen der Beitragspflicht zugrunde und bezieht sich auf den im Ungewissen liegenden Zeitpunkt der Fertigstellung des Hausanschlusses. Damit verstößt sie gegen höherrangiges Recht, so dass kraft Gesetzes die Beitragspflicht mit Inkrafttreten des Änderungsgesetzes des Jahres 1997 entstanden ist. Damit begann auch die 4-jährige Verjährungsfrist zu laufen. Was bedeutet: Die Ansprüche könnten schon mit dem Ende des Jahres 2001 verjährt gewesen sein.

Das Problem dürfte in vielen Bereichen unseres Landes akut geworden sein. Es ist aber davon auszugehen, dass selbst anwaltlich beratene Betroffene nicht in jedem Fall diese spezielle Problematik erkannt haben. Gegenwärtig wird das Problem anhand einiger Fälle vor dem Verwaltungsgericht Halle thematisiert. Es ist damit zu rechnen, dass innerhalb der nächsten 6 Monate eine Bewertung vorgenommen werden kann, weil die Bescheide mit Anträgen auf Erlass einstweiliger Anordnungen angegriffen wurden. Interessant ist, dass hier nun die gesetzliche Regelung, dass die Beitragspflicht schon mit der Möglichkeit der Inanspruchnahme der Einrichtung beginnen soll, sich nun unter diesen speziellen Umständen erstamals auch zugunsten der Betroffenen auswirken kann. Man darf gespannt sein, mit welcher juristischen Phantasie das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt, dieses – aus seiner Sicht – sicherlich ärgerliche und unerwünschte Ergebnis abwenden möchte.

Stand 24.04.2008

Wolf-Rüdiger Beck