Artikel vom 09.07.2008




Massive Bevölkerungsverluste führen in den ländlichen Räumen zu Problemen bei der Konzeption einer zukunftsfähigen Infrastruktur. Die Planungsgemeinschaft Anhalt-Bitterfeld-Wittenberg diskutiert am Beispiel von zwei unterschiedlichen ländlichen Teilregionen eben diese Thematik. An dieser Stelle ergeben sich Schnittmengen zum Interesse der Bürger an bezahlbaren öffentlichen Einrichtungen. Der Sprecher des Initiativen-Netzwerk „Kommunalabgaben“ (INKA) Sachsen-Anhalt, Wolf-R. Beck traf sich zu einem ersten Erfahrungsaustausch mit der Leiterin der Planungsgemeinschaft Marion Schilling in Köthen. Anlass war die von dem Netzwerk erarbeitete Studie zu den Abwassergebühren in den ländlichen Räumen, welche die erhebliche Kostenbelastung der Bewohner in den Regionen offenbarte.

Übereinstimmend wurde festgestellt, dass schon strukturbedingt die auf den Einzelnen entfallenden Kosten technischer Infrastruktur im ländlichen Raum höher ausfallen müssen als in den Ballungsgebieten. Fehlprognosen und falsche politische Weichenstellungen in der Vergangenheit treten erschwerend hinzu. Die demografische Entwicklung verschärft die Problematik. In naher Zukunft wird der Anteil der Einpersonenhaushalte auf dem Land 75 % betragen. Zieht man in Betracht, dass schon gegenwärtig die Kostenbelastung der Einpersonenhaushalte allein für die Abwasserentsorgung (ohne Niederschlagswasser) in einigen Zweckverbänden mit einem Euro pro Tag mehr als 3 mal so hoch ist als der Bundesdurchschnitt, zeigt sich die Dimension des Problems. Die hohen Kosten für die Infrastruktur treffen zugleich auf besonders niedrige Einkommen. Das Durchschnittseinkommen der Haushalte in den ländlichen Räumen liegt im Schnitt 20 % unter dem Einkommen der Familien in den Städten. Der Altersdurchschnitt auf dem Lande wächst bei schrumpfender Bevölkerung weiter rapide. Verlor die Region Anhalt-Bitterfeld- Wittenberg von 1990 bis 2006 bereits 17, 8 % ihrer Bevölkerung, so wird bis zum Jahr 2025 ein weiterer Rückgang um 25,5 % prognostiziert. Bei einem mittleren Bevölkerungsrückgang von 1,185 % p.a. erfolgt allein schon aus dem bevölkerungsbedingten Verbrauchsrückgang eine Kostensteigerung von jährlich rund 1 %. Kosten für Straßenbau und allgemeine Mobilitätskosten belasten diese Bevölkerungsgruppe zusätzlich besonders schwer. Das Leben auf dem Land droht unbezahlbar zu werden. „Bei realistischer Betrachtung wird deutlich, dass sich das Leben auf dem Lande, in unseren Dorfern ändern wird. Jetzt ist noch Zeit zu reagieren. Reagieren wir nicht, nehmen keine Anpassungen, Änderungen und auch Rückbaumaßnahmen in Kauf, wird das Leben in den Dörfern und seinen Ortsteilen langfristig nicht zu sichern sein“, warnt Frau Schilling.

Einfache Lösungen wird es nicht geben. Erforderlich ist nach übereinstimmender Auffassung der Beteiligten die Abkehr von herkömmlichen Ansätzen. Warum muss eine Strasse auch im entlegendsten Gebiet noch nach DIN-Normen ausgebaut werden? Sollten hier die Rechtsvorschriften nicht geändert werden? Genügen nicht auch ‚provisorische’ Maßnahmen? Müssen Strassen nicht ggf. auch rückgebaut werden? Im Bereich des Kanalbaus wächst die Erkenntnis, dass die politische Priorität zentraler Lösungen weit über das Ziel hinausgeschossen ist. Auch wenn es vielerorts fast zu spät dafür ist, sollte dringend umgesteuert werden. Auch hier muss vielleicht über Rückbau, Lockerung des Anschluss- und Benutzungszwangs und dezentralere Lösungsmodelle nachgedacht werden. Die Planungsgemeinschaft ist für solche unkonventionellen Lösungsmodelle offen. Der rege Austausch mit bürgerschaftlich orientierten Gruppierungen wie dem Netzwerk „INKA“, einem Zusammenschluss von 6 Bürgerinitiativen im Land ist ein erster Schritt.

Pressemitteilung 5/08

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