Artikel vom 04.08.2008




Das Oberverwaltungsgericht in Thüringen hat in einer Entscheidung vom 29.04.2008 (4 ZKO 610/07) den Kommunen und Verbänden das Recht zugestanden, jederzeit Beiträge nachzuerheben, wenn der ursprüngliche Herstellungsbescheid die Beitragspflicht nicht voll ausgeschöpft habe. Dem stehe der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung nicht entgegen. Die Nacherhebung könne dabei auch in der Weise erfolgen, dass der ursprüngliche Bescheid zurückgenommen und ein neuer Beitragsbescheid über die volle Summe erlassen werde. Das Gericht weitet damit die Spielräume der Kommunen und Verbände deutlich aus.

Damit geht das OVG noch einen Schritt weiter als das OVG Sachsen-Anhalt, welches Nachherhebungen in der Weise für zulässig gehalten hatte, dass der ursprüngliche Bescheid um einen weiteren, abschliessenden Bescheid ergänzt werde.

Im jetzt entschiedenen Fall hatte der ursprüngliche Bescheid den ausdrücklichen Vermerk enthalten „Dieser Bescheid beinhaltet die endgültige Beitragsschuld für die Teilmaßnahmen Kläranlage, Verbindungssammler und Sonderbauwerke.“ Das OVG hält das aber nicht für relevant. Es führt dazu u.a. folgenden, erstaunlichen Gedanken ins Feld:

„Weil ein Bindungswille der Klägerin, der auch im Fall einer zu niedrigen Beitragsfestsetzung eine Nacherhebung zur Ausschöpfung der Beitragsschuld innerhalb der Festsetzungsfrist ausschließt, nicht als der den Strukturen des Beitragsrechts entsprechende Regelfall anzusehen ist, müsste ein solcher Bindungswillen gerade eindeutig und unmissverständlich im Sinne einer Zusicherung erklärt werden. Das ist jedoch hier nicht der Fall.“

Alles verstanden? Aus der Amtssprache übersetzt heisst das: Wenn im Bescheid festgehalten wird: "Der Betrag beinhaltet die ENDGÜLTIGE Beitragsschuld", dann muss das so gelesen werden: "Der Bescheid beinhalten VIELLEICHT die endgültige Beitragsschuld, vielleicht aber auch nicht."

Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Behörde zugleich mitteilt: "Der Bescheid ist so zu verstehen wie es geschrieben steht." Oder zumindest: "Wir fühlen uns als Behörde an den Inhalt unseres Bescheides tatsächlich gebunden".

Das Wörtchen „endgültig“ enthält also nach Auffassung des Gerichts den inneren Vorbehalt, dass für den Fall, dass die Beitragsschuld mit dem Bescheid nicht vollständig erfasst sein sollte, von einer Endgültigkeit keine Rede sein soll. Damit erklärt das OVG nichts anderes, als dass der Bürger regelmäßig davon auszugehen habe, dass ein Beitragsbescheid immer nur einen Teil der gesamten Beitragschuld enthalte und Nachforderungen daher mehr oder weniger selbstverständlich zu erwarten sind. Nur wenn der Bescheid eben dieses ausdrücklich ausschließe und einen „Bindungswillen“ an die Bescheidinhalte erkennen lasse, sei mit „endgültig“ auch „endgültig“ gemeint. Es verblüfft darüber hinaus, dass das OVG die Auffassung vertritt, der Bürger könne im Hinblick auf Bescheidinhalte, die ihm schriftlich und mit Rechtsmittelbelehrung versehen, übermittelt werden, nicht ohne Weiteres darauf schließen, dass die Behörde insoweit auch einen wirklichen Bindungswillen habe. Ein solcher Bindungswille müsse also gesondert erkennbar gemacht werden. Woher das Gericht eine solche Betrachtung herleiten will, bleibt sein Geheimnis.

Mit dieser Auffassung verkehrt das OVG „contra legem“ Rechtsgrundsätze des Beitragsrechts in ihr Gegenteil. Denn es ist nicht etwa darzulegen, dass ein Beitragsbescheid, der vorbehaltlos ergeht, ausnahmsweise keinen unvollständigen Beitrag erheben solle, sondern es entspricht doch der gesetzlichen Annahme, dass ein solcher Bescheid die vollständige Beitragsschuld erfasst (ja: erfassen muss) und im anderen Fall die Bestimmungen des jeweiligen KAG über die Erhebung von Teilbeiträgen zu beachten sind. Gerade weil nach Auffassung des OVG Thüringen eine solche Beitragserhebungspflicht in dem Sinne besteht, dass die Kommunen oder Verbände vollständige Beiträge erheben müssen, spricht nichts dafür, dass ein einmal ergangener Beitragsbescheid regelmäßig nur einen Teil der Beitragsschuld erfasse. Wenn ein solcher Bescheid dann auch noch mit dem Hinweis versehen wird, es handele sich um die „endgültige“ Beitragsschuld, ist kaum Raum für die befremdliche Auslegung des OVG Thüringen.
Schließlich enthält auch das Thüringer KAG ausdrückliche Regelungen für die Erhebung von Teil-Beiträgen. So ist es nach § 7 Abs. 1 Satz 4 möglich, für Teileinrichtungen selbständig Beiträge zu erheben (Kostenspaltung). § 7 Abs. 8 und Abs. 9 regeln die Möglichkeit von Vorauszahlungen auf den zu erwartenden Gesamtbeitrag und Abs. 8 erwähnt darüber hinaus, dass eine Beitragspflicht u.U. nicht vollständig entstanden sein kann. Ist eine solche aber vollständig entstanden, dann ist – abgesehen von den Stundungs- und Ratenzahlungsmöglichkeiten nach § 7 b Abs. 2 ThürKAG - nicht erkennbar, dass im KAG den Kommunen über diese Regelungen hinaus die Möglichkeit eingeräumt werden soll, den Gesamtbeitrag „stückchenweise“ geltend zu machen. Aus der Sicht des Bürgers muss daher ein Bescheid, der nicht als Teilleistungsbescheid gekennzeichnet ist und der darüber hinaus den Vermerk enthält, es handele sich um die endgültige Erfassung der Beitragsschuld, als ein Bescheid verstanden werden, der eine abschließende Gesamtveranlagung enthält.

Festzustellen ist, dass die Rechtsprechung zur Thematik "Nacherhebungen" immer abstruser wird. Vollkommen übersehen wird, dass auch das KAG Thüringen durchaus Regelungen zu der Möglichkeit vorgesehen hat, Teil-Beiträge geltend zu machen. Diese Regelungen sind zu beachten. Die Nacherhebungen, die sich allein auf den Umstand beziehen, dass ursprünglich versehentlich ein zu geringer Beitrag veranlagt worden ist, finden keine Ermächtgigungsgrundlage im KAG. Darauf hat zu Recht der VGH Baden-Württemberg in einer entscheidung vom 15.07.2004 hingewiesen. Das OVG Thüringen hält nun diese Entscheidung - ebenso wie das OVG Sachsen-Anhalt nicht für relevant, weil das KAG Baden-Württemberg auf bestimmte Regelungen in der Abgabenordnung verweise, welche die Rücknahme von Steuerbescheiden regele. Übersehen wird aber dabei, dass der VGH Baden-Württemberg zur Begründung seiner Auffassung diese Bestimmungen gar nicht heranzieht, sondern sich allgemeni auf den Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung bezieht und auf die konkreten Bestimmungen im KAG-BW zu den Voraussetzungen für die Erhebung von Teil-Beiträgen, wie sie sich in jedem KAG in eigenener Spezifikation finden. Vollkommen zu Recht kommt der VGH Baden-Württemberg daher zu dem Ergebnis:

"Der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung lässt für eine erneute Beitragserhebung nur dann Raum, wenn der ursprüngliche Bescheid als Vorausleistungsbescheid, als Teilleistungsbescheid oder unter dem Vorbehalt späterer Nachprüfung oder Änderung ergangen ist, wenn er bestandskräftig oder doch zumindest in sofort vollziehbarer Weise oder durch rechtskräftiges Urteil aufgehoben worden ist oder wenn sich die Gemeinde eine Nachveranlagung durch eine zulässige satzungsrechtliche Regelung vorbehalten hat (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.06.1985 - 2 S 25/85 -; Beschluss vom 20.03.1991 - 2 S 1313/89 -; Urteil vom 19.07.1990 - 2 S 412/90 -; Urteil vom 02.03.1998 - 2 S 3078/95 -)."

Offenbar ist eine solche klare, rechtlich unmissverständliche und rechtsdogmatisch überzeugende Auslegung des Beitragsrechts politisch nicht wirklch erwünscht. Die obersten Landesrichter sollten sich vor Augen führen, dass sie Gesetze und Rechtsgrundsätze anwenden sollen, nicht aber dazu bestellt wurden, Politik zu machen.


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