Artikel vom 08.08.2008




Das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt hat entschieden (B. v. 30.07.2008, - 4 M 270/08), dass eine Satzung das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht "in rechtlich unbedenklicher Weise" auch von der Herstellung des tatsächlichen Grundstücksanschlusses abhängig machen kann.

Diese Frage hat Bedeutung für die Fälle, in welchen unbebaute Grundstücke nach alten Satzungen wegen eines fehlenden Hausanschlusses nicht veranlagt worden waren. Wenn neuere Satzungen entsprechend den Regelungen des KAG-LSA vorsahen, dass die Beitragspflicht schon dann entsteht, wenn die MÖGLICHKEIT der Inanspruchnahme der Einrichtung (also die Möglichkeit, das Grundstück anzuschliessen), gegeben war, dann veranlagten die Kommunen und Verbände diese Grundstücke. Es stellt sich dann die Frage, ob die Forderungen nicht doch verjährt sind, weil das KAG-LSA seit 1997 vorschreibt, dass die Beitragspflicht mit der blossen Möglichkeit der Inanspruchnahme der Einrichtung entsteht. Das KAG - als das höherrangige Recht - könnte daher anderslautende Satzungregelungen aushebeln. Das OVG wollte solchen Überlegungen, die wohl zu erheblichen Forderungsausfällen in vielen Verbänden geführt hätte, aber keinen Vorschub leisten.

Leider erschöpfen sich die Ausführungen des Gerichts in diesem knappen Hinweis und einem Verweis auf Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 1050 ff.). Die Zitatstelle gibt aber leider für die Auffassung des Gerichts nicht viel her. Sie besagt lediglich, dass nach Auffassung des OVG Niedersachsen die öffentliche Einrichtung erst dann betriebsfertig hergestellt ist, wenn auch der Grundstücksanschluß fertiggestellt sei. Dies auch nur dann, wenn der Grundstücksanschluß zum Teil der öffentlichen Einrichtung erklärt worden sei, was in dem konkreten Fall nicht so geregelt war.

Viel interessanter sind dagegen die Bemerkungen von Dietzel in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Rdnr. 567 zu § 8 oder Rdr. 574 zu § 8. Diese wurden vom Gericht ignoriert. Dort hätte das OVG nachlesen können, dass - bei wortgleicher Regelung - das OVG NW die Auffassung vertritt, dass eine Satzungsbestimmung, welche das Verlegen des Grundstücksanschlusses als Voraussetzung für das Entstehen der Beitragspflicht festlegt, ungültig ist (Zustimmend hierzu: Simoneit/Roßmann, KAG M-V, S. 153). Das OVG begründet seine Auffassung damit, dass die Regelungen zur Erstattung der Hausanschlußkosten nur reine Kostenregelungen seien, welche keinen Einfluss auf das Entstehen der Beitragspflicht hätten. Man hätte also erwarten dürfen, dass das OVG sich zumindest argumentativ mit dieser Gegenansicht auseinandersetzt.

Die ungewöhnliche Kürze des Hinweises des OVG Sachsen-Anhalt lässt darauf schliessen, dass es sich nicht wirklich vertieft mit dieser grundsätzlichen Frage auseinandergesetzt hat. Das Gericht übersieht, dass das KAG-LSA kategorisch schon seit dem Änderungsgesetz vom 6. Oktober 1997 in § 6 Abs. 2 Satz 2 bestimmt, wann die Beitragspflicht für leitungsgebundene Anlagen grundsätzlich entsteht. Nämlich mit der Möglichkeit der Inanspruchnahme der Einrichtung. Möglich ist der Anschluss aber immer dann, wenn der Hauptsammler vor dem Grundstück betriebsfertig verlegt ist. Damit entsteht nach der unmißverständlichen Regelung des Gesetzes die sachliche Beitragspflicht unabhängig davon, ob das Grundstück real angeschlossen ist. Mit diesem Zeitipunkt beginnt demnach auch der Lauf der Verjährungsfrist. Dieser Imperativ schliesst aus, dass die Kommunen und Verbände insoweit eine Wahlmöglichkeit haben. Zwar räumt § 6 Abs. 6 Satz 4 KAG-LSA den Kommunen und Verbänden das Recht ein, für das Entstehen der Beitragspflicht einen späteren Zeitpunkt zu bestimmen. Diese Möglichkeit betrifft aber nur die Fälle, in welchen eben durch eine nachträgliche Satzung eine Beitragspflicht für bereits abgeschlossene Baumaßnahmen entsteht und somit "frühestens" für diese Fälle eine Beitragspflicht mit Verbaschiedung der Satzung entsteht. In DIESEN Fällen kann der Gesetzgeber für das Entstehen der Beitragspflicht einen anderen "Zeitpunkt" festlegen, um zu vermeiden, dass durch den Satzungserlass sofort eine unübersehbare Vielzahl von Beitragsfällen zur Entstehung gebraucht wird. Das bedeutet aber nicht, dass damit nach Belieben das Entstehen der Beitragspflicht z.B. vom tatsächlichen Anschluss abhängig gemacht oder von weiteren materiellen Voraussetzungen abhängig gemacht werden kann. Vielmehr soll durch diese Bestimmung lediglich die Möglichkeit eingeräumt werden, konkret errechenbare, zwar spätere, aber eben eindeutig bestimmbare Termine festzulegen (so Dietzel in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Rdz. 572 zu § 8). Das Gesetz räumt danach den Kommunen und Verbänden eben nicht – wie das Verwaltungsgericht und offenbar auch das OVG meint - die allgemeine Befugnis ein, ein ganz anderes Tatbestandsmerkmal alternativ zur kategorischen gesetzlichen Regel dem Beginn der sachlichen Beitragspflicht zugrunde zu legen. Sondern es erlaubt nur für den Sonderfall, dass die Beitragspflicht durch eine erstmals wirksame Satzung („frühestens“) deswegen entsteht, weil schon vor Erlass dieser Satzung alle Tatbestandsmerkmale erfüllt waren, einen anderen Zeitpunkt (nicht aber ein anderes Tatbestandsmerkmal) für den Beginn der Beitragspflicht festzulegen.

Würde man die Bestimmung anders interpretieren, dann würde das die Frage aufwerfen, warum das KAG dann nicht schlicht formuliert hat: Der Beginn der sachlichen BEitragspflicht wird durch die Satzung näher bestimmt.

Die Entscheidung des Gerichts ist also durchaus fragwürdig. Während das OVG in anderen Fragen die Imperative des KAG-LSA traditionell stets weitgreifend auslegt (wie zB in der Frage der Beitragserhebungspflicht einschliesslich der Pflicht zur Nacherhebung), legt es hier die maßgeblichen Bestimmungen seltsam verhalten aus. Sofern man überhaupt von Auslegung sprechen kann, nachdem das Gericht auf jedwede Erörterung und Begründung seiner Auffassung verzichtet hat. Möglicherweise wird sich das Gericht im noch anhängigen Hauptsacheverfahren aber noch ausführlicher äussern. Die Thematik bleibt jedenfalls auf der Tagesordnung




Wolf-Rüdiger Beck