Artikel vom 16.09.2008




Erschütternde Szenen beschreibt die Lausitzer Rundschau in einem Beitrag vom 11.09.08 zum verlorenen Kampf der "Abwasser-Rebellin" von Briesensee:

"Es ist noch dunkel. Ins beschauliche Spreewald-Dorf Briesensee bei Lübben (Dahme-Spreewald) rollen mehrere Polizeiwagen ein. Straßen werden abgesperrt, Autos kontrolliert. Doris Groger hat sich mit ihren Söhnen Peter und Paul auf dem eigenen Grundstück verbarrikadiert. Bretter, alte Autoteile und Hunderte Glasflaschen riegeln die Wege ab. Die Eingangstür ist zugeschweißt. Mit einem Grundgesetz in der Hand wartet Doris Groger am Mittwochmorgen auf den angekündigten Polizeieinsatz.

Sie weigert sich seit Jahren, den Haushalt ans öffentliche Abwassernetz anzuschließen, weil sie eine biologische Kläranlage besitzt. Das Amt Lieberose/Oberspreewald besteht aber auf die Einhaltung der geltenden Verträge mit dem Abwasserzweckverband, wonach alle Haushalte verpflichtet sind, ihr Schmutzwasser an das kommunale Netz abzuführen. Klagen vor dem Verwaltungs- und Oberverwaltungsgericht haben diesen Zwang bestätigt. Das brandenburgische Verfassungsgericht lehnte die Beschwerde ab. Entscheidungen, die Doris Groger nicht nachvollziehen kann und akzeptieren will. „Ich habe Klage beim Europäischen Gerichtshof eingereicht.“

Bereits am 20. Dezember vergangenen Jahres und am 19. Mai hatte die Verwaltung einen Zwangsanschluss angedroht, in letzter Minute aber jeweils von einer polizeilichen Durchsetzung abgesehen. Diesmal kennt Amtsleiter Bernd Boschan keine Gnade mehr. „Jeder muss sich an das geltende Recht halten.“ Auch die eindringliche Bitte der Landtagsabgeordneten Renate Adolph (Linke) lässt den Amtsdirektor kalt. „Frau Groger wird hier wie eine Schwerverbrecherin behandelt“, erregt sie sich. Um sechs Uhr bittet der Amtsleiter Doris Groger zum letzten Mal darum, ihren Haushalt freiwillig anzuschließen – sie lehnt ab. Bernd Boschan spricht daraufhin einen Platzverweis für alle Personen aus, die sich auf dem Grundstück befinden. „Ich gehe keinen Schritt“, sagt die 56-Jährige. Von nun an übernimmt die Polizei das Geschehen. „Die Rechtslage ist für uns eindeutig. Wenn sie das Grundstück nicht verlassen, sind wir gezwungen, Gewalt anzuwenden“, redet Lübbens Polizeichefin Annett Urban auf die Widerständler ein. „Von mir und meinem Zuhause geht keine Gefahr aus“, entgegnet die alleinerziehende Mutter unter Tränen. Das große Polizeiaufgebot, 25 Beamte sind im Einsatz, schockiere sie. „Haben Sie so viel Angst vor einer alten Frau?“
Vor den Straßensperren haben sich mittlerweile Einwohner, Sympathisanten und Umweltaktivisten versammelt, die der Ortsbürgermeisterin beipflichten wollen. Zum Wohnhaus gelangen sie nur über Umwege. Einige Demonstranten schleichen sich über eine Wiese zu Nachbargrundstücken, um die Geschehnisse zu beobachten.

Ein Deeskalationsteam der Polizei versucht nochmals, auf Doris Groger einzureden. Aber die 56-Jährige bleibt standhaft. „Es ist schlimm. Ich fühle mich wie eine Terroristin“, sagt die Briesenerin. Über den Hintereingang verschaffen sich die Polizisten Zutritt zum Gelände. Doris Groger klemmt ihren Körper zwischen mehreren Holzbalken und hält sich mit aller Kraft an ihnen fest. Drei weibliche Beamte versuchen, sie herauszuziehen – ohne Erfolg. Zwei starke Männer eilen zur Hilfe und lösen die Briesenerin langsam los. „Meine Rechte werden mit Füßen getreten“, schreit sie. „Sie dürfen das Grundgesetz nicht brechen.“ Die Sympathisanten skandieren „Wir sind das Volk. Wir sind das Volk“. Mit großer Kraftanstrengung gelingt es den Beamten nach rund 15-minütigem Kampf, Doris Groger in den Polizeiwagen zu tragen. „Halte durch Mama“, ruft ihr Sohn Peter, der wenig später ebenfalls in Gewahrsam genommen wird.

Die Zaungäste sind vom rigorosen Vorgehen der Polizei schockiert. Einige haben Tränen in den Augen. „Ich bin fassungslos, wie hier mit einer umweltbewussten Frau umgegangen wird“, erregt sich Cornelia Heinrich aus Holzdorf (Teltow-Fläming). „So etwas wäre in anderen europäischen Ländern undenkbar“, sagt Gerald Rollett, der zur Unterstützung aus Stuttgart angereist war. Auch einigen Polizisten scheint an dem Morgen nicht ganz wohl zu sein. Mit düsterer Miene beobachten sie das Geschehen. „Leicht fällt es mir nicht“, sagt ein Beamter. „Aber wir müssen unsere Arbeit tun.“"....

Der ausführliche Artikel kann über den unten stehenden Link eingesehen werden.

Die Brutalität des Ereignisses erschüttert und macht erst einmal vollkommen sprachlos. Wenn man sich vor Augen führt, wie "wehrlos" sich der Staat fühlt, wenn es um Drogenkartelle geht, die ihren dunklen Geschäften auf offner Strasse und an bekannten Plätzen unbehelligt nachgehen dürfen, wenn man einmal Jürgen Roths "Ermitteln verboten" gelesen hat, der die These vertritt, dass Politiker und Entscheidungsträger in der Wirtschaft nicht selten massive Interessenverflechtungen mit der organisierten Kriminalität haben und durchaus auch gezielt Ermittlungen unterbinden oder blockieren, dann muss es empören, mit welchem ungeheuren, massiven Einsatz an personellen und sachlichen Mitteln der Staat hier gegen eine Frau vorgeht, deren einziges "Verbrechen" es ist, eine gut funktionierende Pflanzenkläranlage auf ihrem Grundstück erhalten zu wollen und die sich daher weigert, sich dem gerichtlich bestätigten Anschluß-und Benutzungszwang zu beugen und sich an die zentrale Kanalisation anzuschliessen.

Wieviel Angst muss der Staat vor solchem zivilen Ungehorsam einer sonst harmlosen aber eben doch standhaftenm, vielleicht ja auch "trotzigen" Dame haben, um zu solch drastischen Mitteln zu greifen? Wieviel Panik muss ein solches rebellisches Verhalten in den Amtsstuben auslösen? Wehret den Anfängen mag man sich dort sagen. Mit allen Mitteln musste verhindert werden, dass eine Familie sich dem widersetzt was formal rechtlich durchsetzbar ist. Es hätte ja zum Präzedenzfall werden können.

Gewiss, das "Recht" war auf der Seite des Zweckverbandes. Vorläufig zumindest. Denn alle Instanzen hatten ihm zunächst Recht gegeben. Doch noch steht die Entscheidung des europäischen Gerichtshofes aus, den die Familie angerufen hat. Doch auf eine solche wollte der Zweckverband nicht warten. Dennoch erweist sich diese Eskalation als Niederlage für alle Beteiligten. Das Entsetzen über das Vorgehen der Behörden dürfte den Verantwortlichen noch lange in den Ohren klingen. Hätte man nicht schon im Vorfeld einen anderen, vehältnismäßigen, menschenwürdigen, gangbaren Weg finden können, bevor man die Gerichte und am Ende die Staatsgewalt bemüht hat? Und zeigt nicht gerade dieses Beispiel in erschreckender Weise auf, wie absurd und wie unerträglich solche einseitig die Zentralisierungideologie privilegierende Regelungen sind? Ist es nicht höchste Zeit, den Kommunen und Verbänden nicht zur wesentlich grössere Spielräume zuzugestehen sondern auch einen wesentlich intensiveren Abwägungsprozess abzuverlangen? Sind diese Normen am Ende Selbstzweck oder sollen sie für einen vernünftigen Ausgleich widerstreitender Interessen sorgen?
Die Familie hat den Kampf verloren. Als Verlierer steht aber auch der Verband und nicht zuletzt der Rechtsstaat da, der hier in grotesker Weise gewalttätig wurde. Die Verhältnismäßigkeit der Mittel ist nicht gewahrt. Es bleibt zu hoffen, dass der europäische Gerichtshof das den Verantwortlichen ins Stammbuch schreiben wird. Die Aussage der selbst durchaus innerlich entsetzten und sich unbehaglich fühlenden Polizisten macht in Erinnerung an schlimme Zeiten beklommen: „Aber wir müssen unsere Arbeit tun.“ Genau dies hätte man ihnen und der fassunglosen Öffentlichkeit ersparen müssen.


Wolf-Rüdiger Beck

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