Artikel vom 27.11.2008




Das Innenministerium dringt nach der Absage mehrerer Mitgliedsgemeinden des Abwasserzweckverbandes (AZV) "Bodeniederung" weiter auf eine Übernahme der Aufgaben sowie der Vermögenswerte des AZV durch den Wasser- und Abwasserzweckverband (WAZV) "Bode-Wipper" Staßfurt. Staatssekretär Rüdiger Erben (SPD) schließt auch Zwangsmaßnahmen nicht aus.

"Dass es so viele Querschüsse gibt, betrübt mich erheblich", sagte Staatsekretär Erben im HInblick auf die Ablehnung des Abwasservertragswerkes durch den Egelner Stadtrat und die Gemeinderäte von Hakeborn, Tarthun und Westeregeln.

"Jetzt plötzlich zu sagen: ,Wir machen nichts‘ ist unverantwortlich", meinte Erben in einem Interview mit der Magdeburger Volksstimme und ergänzte:

"Eine Erpressung des Landes wird es eben so wenig geben wie eine Nachbesserung. Denn es kann nicht sein, dass diejenigen, die sich am beharrlichsten weigern, am Ende Sonderkonditionen bekommen."

Die betreffenden Kommunalpolitiker müssten sich jetzt die Frage beantworten, wie sie die Folgen ihrer Beschlussfassung schultern wollen, meinte Erben. Das Umweltministerium werde die erste und zweite Rate der Teilentschuldungshilfen vom Verband zurückfordern. Darüber hinaus müssten die Kommunen die Altschulden des AZV über Umlagen abtragen.
Für den Fall, dass die Kommunen bei ihrer Weigerung bleiben sollten, schloss der Staatssekretär auch nicht aus, dass die Kommunalaufsicht ihren Beschluss notfalls durch eine Zustimmung ersetzt.

Er setzte aber weiter auf eine "freiwillige" Lösung. Wie freiwillig eine solche Lösung vor dem Hintergrund der Zwangsandrohungen des Ministeriums ist, mag jeder für sich selbst beantworten. Es erstaunt mit welcher Chuzpe das Land den schwarzen Peter den Gemeinden zuschiebt und so tut, als seien jene für die Misere des AZV Bodeniederung verantwortlich.

Unsere Freunde im Verein "Bezahlbares Abwasser" haben minutiös die Versäumnisse des Landes aufgelistet:

Die Grundlagen der heutigen Misere sind in der Tat bereits in den frühen 90er Jahren gelegt worden - und zwar unter starker Mitwirkung des Landes. Gleich zu Beginn der 90er stand die Forderung des Landes Sachsen-Anhalt zum Aufbau flächendeckender Abwasserentsorgungs-systeme mit einer möglichst geringen Anzahl von Klärwerksstandorten.

Bei der Vorbereitung der Ausschreibung für das Betreibermodell als auch beim Betreiber-vertrag war das Umweltministeriums von Sachsen-Anhalt von Anfang an beteiligt.

Der AZV Bodeniederung war das Pilotprojekt nach privatem Betreibermodell in den neuen Bundesländern, wodurch dieses entsprechend stark im Fokus diverser Politiker von Bund, Land und Kreis standen.

Das technische Konzept, die Finanzierungspläne sowie die Berechnungen zur Refinanzierung lagen dem Umwelt-ministerium vor und wurden entsprechend den Hinweisen des Ministeriums korrigiert. Ausfallbürgschaften und Fördermittel wurden bereits 1991 bewilligt. Die Qualität der dazu erforderlichen Prüfungen muss leider angezweifelt werden. War die Wirtschaftlichkeit wirklich gewährleistet?

1993 wurde das Projekt vom Land plötzlich in Frage gestellt! Trotz Nachbesserungen wurde die Förderung eingestellt bzw. zumindest sehr stark reduziert. 1995 betrug die Förderquote nur noch knapp 15%! Im Vergleich realisierten andere Verbände in Sachsen-Anhalt Förderungen bis zu 65%.

Diese geringe Förderquote führte letztlich dazu, dass Herstellungsbeiträge ab 1997 erhoben werden mussten. Auf diese hätte nach Verbandsangaben verzichtet werden können, wenn die eingeplanten Mittel in vollem Umfang ausgereicht worden wären. Der Betreiber verkündete in Schreiben an weitere Gemeindeverwaltungen zum Beitritt in den Verband eine Förderung von 40% durch das Land.

Unter den Augen der Landesbehörden wies der AZV Bodeniederung kein schlüssiges Refinanzierungskonzept vor. Bis ins Jahr 1995 betrugen die Abwassergebühren nur niedrige 0,93 Euro/m3, was politisch durchaus so gewollt war. Bis Mitte 1995 war aber bereits die Hälfte der Investition mit einem finanziellen Aufwand von insgesamt 110 Mio. Euro getätigt! Jeder, der schon einmal einen Kredit aufgenommen hat, weiß, dass ohne Tilgungszahlung die Kreditlast durch die anfallenden Zinsen und Zinses-zinsen sehr schnell erheblich größer wird.

Im November 1995 lag die Genehmigung des mittlerweile 3. Betreibervertrages durch den Landkreis Aschersleben-Staßfurt mit ausdrücklicher Zustimmung des Regierungspräsidiums Magdeburg vor. Eine wichtige Auflage dieser Genehmigung war die Erhebung kosten-deckender Gebühren, inklusive der Einführung einer Grundgebühr. Die Erhebung kostendeckender Gebühren war jedoch 1995 bei der noch geringen Anzahl zentral angeschlossener Einwohner (6365) kaum möglich gewesen.

Eine weitere wesentliche Ursache für die eingetretene Misere besteht darin, dass während der gesamten Zeit des AZV Bodeniederung es keine Führung gab, die die Geschicke des Verbandes richtig lenken konnte. Das Personal war den Anforderungen meist nicht gewachsen. Von 1991 bis 2006 mussten 51 Satzungen bzw. Änderungen erlassen werden, um inhaltliche Fehler und Fehler in Veröffentlichung zu korrigieren. Die Niederschlags-wassergebührenerhebung wurde ab 1997 in die Satzung aufgenommen, scheiterte aber dilletantisch, als nach einer falschen Veröffentlichung des Gebührensatzes ohne Korrektur trotzdem die Gebührenbescheide erlassen wurden. Danach wurde Niederschlagswassergebühren nicht flächendeckend erhoben. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass 3 mal Datenerhebungen zur Niederschlagswasserbeseitigung durchgeführt wurden, natürlich zu Lasten der Gebührenzahler.

Ende 1999 bis Anfang 2000 war eine Managementunter-stützungsgruppe im Auftrag des Umweltministeriums im AZV tätig, was aber leider auch keine nachhaltige Verbesserung in der Arbeit des Verbandes brachte. Hier saß das Land doch direkt an den Schalthebeln des Verbandes!

Trotz enormer Ausgaben von insgesamt knapp 1,5 Millionen Euro für Beratungsleistungen sind eine Menge organisatorischer Mängel im Verband bis heute noch nicht einmal vollständig beseitigt. Dies begünstigte das Zustandekommen riesiger offener Forderungen in Höhe von rund 6 Millionen Euro bis 2007, was ca. einem Jahresumsatz des Verbandes entspricht. Davon sind fast 900.000 Euro verjährt, über 1,6 Millionen Euro sind durch Insolvenz nicht mehr beitreibbar.

Der Bericht des Landesrechnungshofes über den AZV Bodeniederung zeigt in über 100 Seiten das totale Versagen des Landes, seiner Behörden und des Abwasserzweckver-bandes. Eine Aufarbeitung erfolgte in keinem einzigen Gremium, zumindest nicht öffentlich-keitswirksam. Zu erdrückend sind die Vorwürfe! Viel zu spät durchgeführte interne Prüfungen stellten oftmals nur noch Verjährungen zu zahlreichen Tatbeständen fest.

Es hat nun den Anschein, dass die Auflösung des AZV in aller Eile zum 01.01.2009 erfolgen und mit Macht durchgesetzt werden soll damit dabei die festgestellten Versäumnisse aller Beteiligten unter den Teppich gekehrt werden können und die öffentliche Diskussion über die aufgezeigten - vom Rechnungshof detailliert aufgezeichneten Mißstände - zum Erliegen kommt.

Staatskretär Erben wäre besser beraten, einmal die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zu fordern, der die Rolle der Landesregierung und die Verantwortlichkeiten im Hinblick auf das desolate Ergebnis der Arbeit des Landes mit Blick auf den AZV Bodeniederung hinterfragt und beleuchtet anstatt den Gemeinden, die sich vom Land im Interesse ihrer Bürger nicht unter Druck setzen lassen wollen mit dem Knüppel von Zwangsmaßnahmen zu drohen. Vermisst wird auch die konkrete Absicht, die Verantwortlichen in die Haftung zu nehmen. Wer nach Auffassung des Landes haften soll - der Bürger - trägt mit Sicherheit die geringste Verwantwortung für das Debakel in der Bodeniederung.


Wolf-Rüdiger Beck und Klaus Sandau

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