Artikel vom 08.03.2010




Ein gutes Gesetz zeichnet sich aus durch Einfachheit, Gemeinverständlichkeit, Bestimmtheit und Klarheit. Ein gutes Beispiel für eine solche klare, allgemeinverständliche Regelung ist § 2 Abs. 1 KAG-LSA. Dieser besagt in seinem ersten Satz:

„Kommunale Abgaben dürfen nur auf Grund einer Satzung erhoben werden“.

Der Norminhalt besticht durch seine Schlichtheit und ist ein Beispiel wahrhaft ästhetisch anmutender Gesetzgebungskunst. Formuliert wird damit der (verfassungsrechtlich bedeutsame) Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes: Kommunen dürfen nur auf der Grundlage (zuvor) gegebenen Ortsrechts Abgaben erheben.

Das Oberverwaltungsgericht Brandenburg hat unlängst in einer Entscheidung vom 09.09.2009 (-9 B 60.08-) auf diesen einfach zu verstehenden Sachverhalt hingewiesen und ausgeführt:

„Bereits der Wortlaut der Bestimmung legt nahe, dass zunächst die Abgabensatzung und erst danach die darauf gestützten Abgabenbescheide zu erlassen sind.“

Wie wahr! Tatsächlich fragt sich der geneigte Leser, warum dies überhaupt noch der Diskussion bedarf. Doch ist die schlichte, von einem unbefangenen und „gesunden“ Verständnis eines Gesetzes getragene Auffassung des OVG Brandenburg gar nicht so selbstverständlich wie es auf den ersten Blick scheint. Denn das Oberverwaltungsgericht in Sachsen-Anhalt vertritt in ständiger Rechtsprechung die bemerkenswerte These, das Kommunalabgabengesetz bestimme „keine Reihenfolge“, innerhalb derer die jeweiligen sachlichen Voraussetzungen für das Entstehen der Beitragspflicht vorliegen müssen. Mit anderen Worten: Satzungen, die eine kommunale Abgabe regeln, können ungeachtet des § 2 Abs. 1 KAG LSA auch erst Jahre nach dem die Abgabenpflicht begründenden Sachverhalt erlassen werden und diesen unter eine Abgabepflicht stellen. Bekanntlich hat der Landesgesetzgeber dieser etwas eigenwilligen Auffassung des Oberverwaltungsgerichts jedenfalls für das Ausbaubeitragsrecht nach langem Streit entnervt einen Riegel vorgeschoben und seit dem Jahre 1999 eindeutig über das Selbstverständliche hinaus sogar festgelegt, dass die Abgabensatzung noch vor dem Beginn einer Ausbaumaßnahme vorliegen muss. Basta.
Im Bereich der leitungsgebundenen Einrichtungen hält das OVG LSA jedoch weiterhin an seiner abweichenden Auffassung fest.

Das Oberverwaltungsgericht Brandenburg sah sich vielleicht auch durch diese abweichende Rechtsprechung des Nachbarlandes nun zu einer Präzisierung veranlasst:

„Diese Auslegung wird durch folgende Überlegung bestätigt: Kommunale Gebühren und Steuern dürfen schon verfassungsrechtlich nur für solche Zeitabschnitte erhoben werden, in denen die Gebühren- oder Steuerpflicht bereits durch eine Satzung geregelt gewesen ist. § 2 Abs. 1 Satz 1 KAG hat insoweit klarstellenden Charakter. Weil die Bestimmung indessen unterschiedslos für alle Kommunalabgaben gilt, muss sie auch in Bezug auf alle Kommunalabgaben einheitlich ausgelegt werden, so dass die Reihenfolge - erst Satzung, dann Bescheid - durchgängig einzuhalten ist. Allein diese Reihenfolge wird auch dem Umstand gerecht, dass die Abgabenpflicht schon mit der Erfüllung des Abgabentatbestandes entsteht (§ 12 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b KAG i. V. m. § 38 AO) und der Abgabenbescheid die bereits entstandene Pflicht nur noch konkretisiert (§ 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b KAG i. V. m. § 155 AO).“

Es handelt sich hierbei keineswegs um eine rein akademische Debatte. Denn die Konsequenz dieser ausgesprochen wohltuend-nachvollziehbaren Auffassung des OVG Brandenburg ist, dass eine nachträglich erlassene Abgabensatzung den Anforderungen nur genügt, soweit der Satzungsgeber unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Einschränkungen den maßgebenden Bestimmungen zumindest eine entsprechende Rückwirkung beilegt (OVG Brandenburg, Urteil vom 14. März 1996 - 2 A 52/95 -, S. 7 des UA). An dieser Rechtsprechung hält der Senat mit Blick auf § 2 Abs. 1 Satz 1 KAG nun auch in Kenntnis der abweichenden Auffassung der Kollegen hierzulande ausdrücklich fest.

Demgegenüber vertritt das OVG LSA die Auffassung, eine Rückwirkungsanordnung sei nicht nur entbehrlich, sondern verbiete sich sogar im Hinblick auf die Beitragserhebungspflicht, soweit durch die angeordnete Rückwirkung die Gefahr bestehe, dass Beitragsforderungen im Augenblick des (rückwirkenden) Satzungserlasses sofort verjährt seien. Hier wird also aus der Sicht des Gerichts von einem (politisch) unerwünschte Ergebnis her argumentiert. Beiträge dürfen nach Möglichkeit nicht verjähren, auch wenn dies bei schlichter rechtsstaatlich gebotener Anwendung gesetzlicher Vorgaben unvermeidbar wäre.

Dabei ist das Problem der sofortigen Verjährung aus Sicht des Gesetzgebers lösbar, wenn er es für ein Problem hält. Denn dieser hat die Möglichkeit, den Lauf der Festsetzungsverjährung zu knüpfen an den nachträglichen Erlaß der rückwirkend in Kraft tretenden Satzung (vgl. § 15 Abs. 1 Ziff. 4 b) cc) 2. Spiegelstrich ThürKAG). Sollte er davon keinen Gebrauch machen, dann ist es jedenfalls nicht Sache der Gerichte, sich zu einem „Obergesetzgeber“ aufzuschwingen und seine Rechtsprechung daran auszurichten, was aus Sicht des Gerichts möglicherweise politisch wünschenswert wäre.

Vielmehr sehnt sich der Bürger nach Richtern, die wieder Zugang finden zur schlichten Schönheit eines einfach zu verstehenden Rechtssatzes: „Kommunale Abgaben dürfen nur auf Grund einer Satzung erhoben werden.“ Die Verrenkungen, die das Gericht in den letzten 15 Jahren um diesen Satz herum vorgenommen hat, um entgegen der vom OVG Brandenburg mit begrüßenswerter Klarheit hervorgehobener Rechtssätze politische Rechtsauslegung teilweise gegen den ausdrücklich erklärten Willen des Gesetzgebers zu betreiben, sind der Rechtskultur in unserem Lande abträglich und stärken gerade nicht das Vertrauen des Bürgers in eine unabhängige und wirklich politisch neutrale Verwaltungsgerichtsbarkeit.


Wolf-R. Beck