Artikel vom 24.09.2013




Das Bundesverfassungsgericht hat in einem viel beachteten Beschluss vom 05.03.2013 klargestellt, dass die Regelungen der Bundesländer zur Festsetzungsverjährung kommunaler Abgaben zum Vorteilsausgleich (also zB Ausbau- oder Anschlussbeiträge) nicht so ausgestaltet werden dürfen, dass sie zeitlich unbegrenzt erhoben werden dürfen.

Damit teilt das höchste deutsche Gericht die von uns seit vielen Jahren vertretene Rechtsauffassung, dass es gegen das Gebot der Rechtssicherheit und gegen das Prinzip des Vertrauensschutzes verstößt, wenn der Verjährungsbeginn kommunaler Abgaben an das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht geknüpft wird und gleichzeitig bestimmt wird, dass diese erst mit der ggf. nach Jahrzehnten endlich verabschiedeten ersten gültigen Satzung entstehen dürfe. Diese Regelung hebelte die Wirksamkeit von Verjährungsvorschriften aus, die eigentlich besagten, dass die Verjährungsfrist für solche kommunalen Abgaben 4 Jahre betragen. Denn wenn der Verjährungsbeginn nicht auf den Zeitpunkt der Vorteilslage sondern auf den für den Bürger nicht näher erkennbaren, also abstrakten rechtlichen Zeitpunkt des Entstehens der Beitragspflicht bezogen wird, können unter Umständen auch noch viele Jahrzehnten nach Abschluss der vorteilsbegründenden Maßnahme noch Beiträge erhoben werden.

Das Bundesverfassungsgericht fordert nun mit sehr klaren Worten, dass Anknüpfungspunkt für die Beurteilung eines Zeitrahmens, innerhalb dessen die Abgabenerhebung zu erfolgen hat, das Entstehen der "Vorteilslage" zu sein hat, also der Zeitpunkt, zu dem die öffentliche Einrichtung betriebsfertig hergestellt und das Grundstück hinreichend erschlossen ist.
Das Gericht führt zu einer anders lautenden Regelung des Gesetzgebers in Bayern, deren Problematik aber auf Sachsen-Anhalt und einige andere Bundesländer übertragbar ist, aus:

"Indem er den Verjährungsbeginn jedoch ohne zeitliche Obergrenze nach hinten verschiebt, lässt er die berechtigte Erwartung des Bürgers darauf, geraume Zeit nach Entstehen der Vorteilslage nicht mehr mit der Festsetzung des Beitrags rechnen zu müssen, gänzlich unberücksichtigt. Die Verjährung kann so unter Umständen erst Jahrzehnte nach dem Eintritt einer beitragspflichtigen Vorteilslage beginnen."

Diese Regelung stehe in Widerspruch zur
"Aufgabe des Gesetzgebers, die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und der Einzelnen an Rechtssicherheit durch entsprechende Gestaltung von Verjährungsbestimmungen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Dabei steht ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Der Grundsatz der Rechtssicherheit verbietet es dem Gesetzgeber jedoch, die berechtigten Interessen des Bürgers völlig unberücksichtigt zu lassen und ganz von einer Regelung abzusehen, die der Erhebung der Abgabe eine bestimmte zeitliche Grenze setzt."

Die Oberverwaltungsgerichte der Länder Thüringen und Sachsen-Anhalt hatten bisher mit Verweis auf die Dauerhaftigkeit des "Vorteils" die Auffassung vertreten, es sei

"in einer späten Beitragserhebung keine grobe Unbilligkeit zu erkennen. Denn es wird in aller Regel so sein, dass zwar die Maßnahme längere Zeit zurückliegen mag, dass aber der auf Dauer vermittelte Vorteil, dessentwegen der Beitragerhoben wird, noch weit in die Zukunft reicht.“ (OVG Thüringen B. v. 28.08.2008, - 4 EO 405/08."

Diesem Argument hält das Verfassungsgericht entgegen:

"Zwar können dabei die Vorteile auch in der Zukunft weiter fortwirken und tragen nicht zuletzt deshalb eine Beitragserhebung auch noch relativ lange Zeit nach Anschluss an die entsprechende Einrichtung. Jedoch verliert der Zeitpunkt des Anschlusses, zu dem der Vorteil, um dessen einmalige Abgeltung es geht, dem Beitragspflichtigen zugewendet wurde, deshalb nicht völlig an Bedeutung. Der Bürger würde sonst hinsichtlich eines immer weiter in die Vergangenheit rückenden Vorgangs dauerhaft im Unklaren gelassen, ob er noch mit Belastungen rechnen muss. Dies ist ihm im Lauf der Zeit immer weniger zumutbar. Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebietet vielmehr, dass ein Vorteilsempfänger in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen kann, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen muss."

Das Gericht wendet sich auch gegen das häufig vorgebrachte Argument, der Bürger habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass er von Beitragserhebungen verschont bleibe, weil zum Beispiel eine Satzung ungültig gewesen sei. Er hätte mit der späteren rechtswirksamen Erhebung eines Beitrags nach Erlass einer gültigen Satzung stets rechnen müssen.
Diesbezüglich hatten wir bereits an anderer Stelle darauf hingewiesen, dass eine solche Auffassung das Wesen des Rechtsgedankens der Verjährung verkenne (in unserem Kommentar zum Beschluss des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 18.05.2009).

Das Verfassungsgerichts führt aus:

"Das Rechtsstaatsprinzip gewährleistet darüber hinaus aber unter bestimmten Umständen Rechtssicherheit auch dann, wenn keine Regelungen bestehen, die Anlass zu spezifischem Vertrauen geben, oder wenn Umstände einem solchen Vertrauen sogar entgegenstehen. Es schützt in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit davor, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können."

Diese Klarstellung, die aus unserer Sicht von den Obergerichten der Länder in völlig unverständlicher Weise beharrlich verkannt wurde, stellt nun das Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit der Justiz wieder her. Dass es hierzu erst eines Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts bedurfte, ist jedoch nicht nachvollziehbar. Die rigorose Einseitigkeit der Justiz, mit der diese die fiskalischen Interessen des Staates über die verfassungsmäßig geschützten rechtsstaatlichen Prinzipien des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit stellte, ist zutiefst bedenklich.

Die Auswirkungen dieses Urteils werden erheblich sein. Das Verwaltungsgericht Halle hat bereits in einer Entscheidung vom 28.08.2013 zu den Ausbaubeiträgen ausgeführt, die vom Verfassungsgericht aufgeworfenen Fragen ließen sich

"nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Halle auch auf die derzeitige Rechtslage im Land Sachsen-Anhalt übertragen. Der Landesgesetzgeber ist insoweit gefragt, die Verjährungsvorschriften zu überdenken. Das Verwaltungsgericht Halle ist zu dem Ergebnis gekommen, diesen verfasssungsrechtlichen Bedenken könne dadurch begegnet werden, § 6 Abs. 6 Satz 1 des Kommunalabgabengesetzes Sachsen-Anhalt verfassungskonform so auszulegen, dass vor der Entscheidung über eine beitragsauslösende Maßnahme eine wirksame Satzung vorliegen muss."

Das Bundesverfassungsgericht hat den Ländern einige Wege aufgezeigt, wie die Kommunalabgabengesetze zu verändern sind. Der Landesgesetzgeber könne

"etwa eine Verjährungshöchstfrist vorsehen, wonach der Beitragsanspruch nach Ablauf einer auf den Eintritt der Vorteilslage bezogenen, für den Beitragsschuldner konkret bestimmbaren Frist verjährt. Er könnte auch das Entstehen der Beitragspflicht an die Verwirklichung der Vorteilslage anknüpfen oder den Satzungsgeber verpflichten, die zur Heilung des Rechtsmangels erlassene wirksame Satzung rückwirkend auf den Zeitpunkt des vorgesehenen Inkrafttretens der ursprünglichen nichtigen Satzung in Kraft zu setzen, sofern der Lauf der Festsetzungsverjährung damit beginnt [.... Er kann dies mit einer Verlängerung der Festsetzungsfrist, Regelungen der Verjährungshemmung oder der Ermächtigung zur Erhebung von Vorauszahlungen auch in Fällen unwirksamer Satzungen verbinden".

Dass die Länder versuchen werden, diese Hinweise des Gerichts möglichst weit auszudehnen, zeichnet sich bereits jetzt ab. Der Landesgesetzgeber von Brandenburg hat in einem Gesetzentwurf eine maximale Festsetzungsfrist von 15 Jahren vorgeschlagen, die aufgrund einer speziellen Regelung in Brandenburg für Altforderungen auf eine Gesamtverjährungsfrist von 25 Jahren hinausläuft. Ob eine solch weitgehende Regelung noch mit den vom Verfassungsgericht vorgegebenen Rechtsgedanken vereinbar ist, darf bezweifelt werden. Denn im entschiedenen Fall ging es um eine Zeitablauf von (nur) 12 Jahren, der vom Verfassungsgericht zum Anlass für die verfassungsrechtlichen Bedenken genommen wurde.

Welche Auswirkungen der Beschluss auf die sogenannten Altanschließerfälle oder den "Herstellungsbeitrag II" hat, der in Sachsen-Anhalt vom Oberverwaltungsgericht eingefordert worden war, bedarf näherer Untersuchungen.
Unklar ist auch, ob bei Verjährungsfällen möglicherweise mehrere Abrechnungsgebiete zu bilden sein werden, welche dann berücksichtigen, dass Eigentümer beitragsfrei bleiben müssen. Dieses wird nun teilweise gefordert, könnte aber auch verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen. Dieses wird an anderer Stelle noch zu erörtern sein.

Wolf-R. Beck

Wolf-R. Beck