Artikel vom 20.08.2015




In einer Entscheidung vom 04.06.2015 hatte das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt erstmals Gelegenheit, die neuen Vorschriften im Kommunalabgabengesetz zur Éinführung einer Ausschlußhöchstfrist für die Geltendmachung kommunaler Abgaben zu überprüfen.

Die Gesetzesänderung war aufgrund der Hinweise des BVerfG in zwei Entscheidungen des Jahres 2013 zur Rechtslage in Bayern und in Brandenburg erforderlich geworden. Das höchste deutsche Gericht hatte dort klargestellt, dass Regelungen eines Bundeslandes zur Festsetzungsverjährung kommunaler Abgaben zum Vorteilsausgleich (also zB Ausbau- oder Anschlussbeiträge) nicht so ausgestaltet werden dürfen, dass sie zeitlich unbegrenzt erhoben werden dürfen.

Der Landtag hatte daraufhin ein Gesetz zur Änderung kommunalabgabenrechtlicher Vorschriften verabschiedet (GVBl. LSA S. 522). Dieses ist am 24. Dezember 2014 in Kraft getreten.
Es wurden dort u.a. die §§ 13b, 18 Abs. 2 in das KAG LSA eingefügt. Diese legen fest, dass Abgabenfestsetzungen unabhängig vom Entstehen einer Abgabenpflicht zum Vorteilsausgleich mit dem Ablauf des 10. Kalenderjahres, das "auf den Eintritt der Vorteilslage" folgt, ausgeschlossen sind (§13b Satz 1 KAG LSA). Die nach Maßgabe des § 13b zu bestimmende Ausschlussfrist endet aber nicht vor dem Ablauf des Jahres 2015 (§ 18 Abs. 2 KAG LSA).

Insbesondere diese Übergangsfrist war im Gesetzgebungsverfahren auf Kritik der Wohnungswirtschaft und Grundbesitzervereine gestoßen. Dagegen hatten die kommunalen Vereinigungen und Verbände auf den sonst drohenden Einnahmeausfall in dreistelliger Millionenhöhe hingewiesen.

Das OVG LSA bewertet die neue Gesetzeslage nun wie folgt:

"Die gewählte Ausschlussfrist von grundsätzlich 10 Jahren ab Eintritt der Vorteilslage, die jedoch nicht vor dem Ende des Jahres 2015 abläuft und daher im Einzelfall auf Grund des erstmaligen Inkrafttretens des KAG LSA im Jahre 1991 bis zu 24,5 Jahre betragen kann, hält sich im Rahmen des dem Gesetzgeber insoweit nach der Entscheidung des BVerfG (vgl. Beschl. v. 05.03.2013, a.a.O., Rdnr. 46) zustehenden weiten Gestaltungsspielraums und belastet die Abgabenpflichtigen nicht unzumutbar."

Die auch dem öffentlichen Recht nicht fremde dreißigjährige Verjährungsfrist (vgl. etwa § 53 Abs. 2 VwVfG) werde hierdurch nicht überschritten. Zudem wirke der Vorteil, der durch die Inanspruchnahmemöglichkeit einer Einrichtung vermittelt wird, lange in die Zukunft
fort, während ein besonderes wirtschaftliches Interesses der Abgabepflichtigen an einer möglichst
zeitnahen Geltendmachung des Beitragsanspruchs nicht bestehe, sondern deren Interesse
nur darin liege, erkennen zu können, wann mit einer Inanspruchnahme nicht mehr zu rechnen sei.
Schließlich seien die nach der Wiederherstellung der Deutschen Einheit bestehenden Schwierigkeiten
beim Aufbau einer funktionierenden kommunalen Selbstverwaltung sowie die sonstigen Schwierigkeiten in einem neuen Bundesland wie Sachsen-Anhalt überhaupt wirksames Satzungsrecht zu erlassen, in Rechnung zu stellen.


Die Begründung zeigt, dass sich dem OVG LSA die Tragweite der verfassungsgerichtlichen Entscheidung noch nicht vollständig erschließt. Zwar lehnt das OVG LSA die rechtsstaatlichen Abwägungen des Bundesverfassungsgerichts anders als das OVG Greifswald, das inzwischen vom BVerwG inhaltlich korrigiert wurde, für das Anschußbeitragsrecht nicht rundweg ab, greift aber doch zur Begründung seiner Auffassung auf alte Argumentionslinien zurück:

• Der Vorteil, der durch die Inanspruchnahmemöglichkeit einer Einrichtung vermittelt werde, wirke lange in die Zukunft fort

• Ein besonderes wirtschaftliches Interesse der Abgabepflichtigen an einer möglichst zeitnahen Geltendmachung des Beitragsanspruchs bestehe nicht

• Die besonderen Schwierigkeiten der neuen Bundesländer beim Aufbau einer funktionierenden Verwaltung müssten Berücksichtigung finden.


Mit diesen Argumentationslinien hatte man ja in der Vergangenheit versucht, die alte Rechtslage zu rechtfertigen. Die Entscheidungen des BVerfG haben hinreichend offen gelegt, dass diese Gründe jedenfalls dann nicht tragen, wenn sie zu einer Rechtslage führen, dass womöglich noch Jahrzehnte nach Abschluss der vorteilsbegründenden Maßnahme Beiträge erhoben werden können.
Genau dies ermöglicht aber nun die Übergangsregelung. Das OVG beschreibt selbst, dass die Übergangsfrist die Geltendmachung von Abgabenforderungen für Maßnahmen ermöglicht, die bis zu 24,5 Jahre - also zweieinhalb Jahrzehnte - zurückliegen. Das OVG führt hier in neuem Gewand alte Begründungen ein, die in der Vergangenheit zu einer verfassungswidrigen Rechtslage geführt haben.

Die immer wieder herangezogene Begründung der "besonderen Schwierigkeiten der neuen Bundesländer beim Aufbau einer funktionierenden Verwaltung" kann ohnehin kein Rechtfertigungsgrund dafür sein, für einen ausgewählten Personenkreis '(den Haus- und Grundeigentümern) die Anwendung rechtsstaatlicher und verfassungsrechtlicher Grundsätze einzuschränken. Für die Versäumnisse der Allgemeinheit haftet diese selbst!
Der bekannte Verfassungsrechtler Maunz schrieb bereits vor vielen Jahrzehnten dazu: " Es geht eigentlich nur um die ganz simple Erkenntnis, dass faktisch irreparable "Fehlleistungen" bei der Anwendung des Gesetzmäßigkeitsgrundsatzes auch rechtlich letztlich in der Risikosphäre desjenigen hängen bleiben, dessen Einflußsphäre sie entstammen."

Die vom OVG beschriebenen Fehlleistungen beim Aufbau der Verbände sind jedenfalls nicht solche der Bürger. Unerwähnt liess das OVG in diesem Zusammenhang, dass beim Aufbau der Länder, Kommunen und Verbände zahlreichen erfahrenen Westpolitikern, Juristen und Westunternehmen, die lukrative Geschäfte witterten, ihren Rat gerne zur Verfügung stellten. Das Ergebnis ihrer gelegentlichen Fehlleistungen wurde dann den betroffenen Bürgern präsentiert. Haftungsrechtliche Konsequenzen für teuer bezahlte Fehlberatungen gab es -soweit ersichtlich- so gut wie nie.

Geradezu skandalös ist die Auffassung des OVG LSA, ein besonderes wirtschaftliches Interesse der Abgabepflichtigen an einer möglichst zeitnahen Geltendmachung des Beitragsanspruchs bestehe nicht.
Dies unterstellt dem mündigen Bürger Naivität und Uneinsichtigkeit. Das Gericht hätte seine bürgerverachtende Auffassung auch eindeutiger formulieren können: "Das Interesse der Bürger beschränkt sich schlicht darauf, nie wirklich zahlen zu wollen".

So ist es natürlich nicht. Der verständige Bürger ist selbstverständlich - wie die betroffenen Unternehmen - bereit für jene Maßnahmen einen Beitrag zu leisten, die ihm individuell zugute kommen, wenn die Maßnahme transparent ist, die Umsetzung gerecht, die Rechtsgrundlage klar, in sich stimmig und nachvollziehbar ist und wenn in Streitfällen juristische Waffengleichheit gewährleistet wird. Dies ist im kommunalen Abgabenrecht - wie die Entscheidungen des BVerfG nun überdeutlich zeigen, in der Vergangenheit gerade nicht gewährleistet gewesen.

Selbstverständlich hat der Bürger und die Unternehmen - ebenso wie die Wohnungswirtschaft ein geradezu elementares, wirtschaftliches Interesse an frühzeitiger Klarheit und Rechtssicherheit. Der Bürger will eine Abgabenschuld nicht aufschieben oder aussitzen, wie das OVG anscheinend unterstellt, sondern will die Belastung frühzeitig kennen und in seine Finanzplanung einarbeiten. Unternehmen müssen Rückstellungen bilden. Und niemand ist daran interessiert, dass die zu leistende Abgabe womöglich erst in der übernächsten Generation erhoben wird. Der Bürger will kein ewig drohendes Damoklesschwert, sondern will belastende Abgabenforderungen hinter sich bringen. Es geht um nichts weniger als den Schutz der wirtschaftlichen Dispositionsfreiheit und um Belastungsklarheit. Gerade die Ungewissheit über eine anstehende wirtschaftliche Belastung hindert Bürger und Unternehmen daran, wirtschaftliche Entscheidungen zu treffen. Die Auffassung des OVG hierzu verkennt diese naheliegenden Zusammenhänge in unverständlicher Weise.

Dass der vermeintliche "Vorteil", den der Bürger erlangt hat, weit in die Zukunft fortwirkt, hilft der Argumentation des OVG auch nicht. Denn darum geht es dem BVerfG nicht. Dieses behauptet ja nicht, wie das OVG Greifswald zu Unrecht meint, dass sich der Vorteil "verflüchtige", sondern es führt überzeugend aus:

"Zwar können dabei die Vorteile auch in der Zukunft weiter fortwirken und tragen nicht zuletzt deshalb eine Beitragserhebung auch noch relativ lange Zeit nach Anschluss an die entsprechende Einrichtung. Jedoch verliert der Zeitpunkt des Anschlusses, zu dem der Vorteil, um dessen einmalige Abgeltung es geht, dem Beitragspflichtigen zugewendet wurde, deshalb nicht völlig an Bedeutung. Der Bürger würde sonst hinsichtlich eines immer weiter in die Vergangenheit rückenden Vorgangs dauerhaft im Unklaren gelassen, ob er noch mit Belastungen rechnen muss. Dies ist ihm im Lauf der Zeit immer weniger zumutbar. Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebietet vielmehr, dass ein Vorteilsempfänger in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen kann, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen muss."
Es geht also darum, welcher Zeitraum noch zumutbar erscheint, innerhalb dessen - nach Eintritt der Vorteilslage - dem Bürger die Bescheiderteilung noch zumutbar sein kann. Das Gericht hält ganz offenbar "mehrere Jahrzehnte" für verfassungsrechtlich bedenklich.

Diese Überlegungen des Gerichts müssen auch im Zusammenhang mit der Frage, ob mit Einführung einer Ausschlusshöchstfristeine für einen Übergangszeitraum eine 25-jährige Nacherhebung von Beiträgen sachlich noch zu rechtfertigen ist.
Diese Fragen scheint das OVG LSA nicht durchdrungen zu haben.

Diese Überlegungen bedeuten noch nicht, dass die Übergangsfrist verfassungswidrig ist, sie weisen lediglich darauf hin, dass die Begründung, die das OVG für ihre Verfassungsmäßigkeit heranzieht, nicht trägt.

Das Verfassungsgericht selbst hatte allerdings angedeutet, dass die Umgestaltung der gesetzlichen Vorschriften mit Sonderbestimmungen verbunden werden kann, welche die Folgen für die Verbände abmildern:

"Er kann dies mit einer Verlängerung der Festsetzungsfrist, Regelungen der Verjährungshemmung oder der Ermächtigung zur Erhebung von Vorauszahlungen auch in Fällen unwirksamer Satzungen verbinden".

Allein die vom BVerfG genannten Beispiele, die vor allem in die Zukunft wirken, wecken Zweifel, ob die vorläufig sehr weitgehende Festschreibung einer eigentlich verfassungswidrigen alten Rechtslage durchgehend bis zum 31.12.2015 noch dem Geiste der Entscheidung des Gerichts gerecht wird.

Eine offene Frage ist zudem, ob vor dem Hintergrund der Entscheidung des BVerfG die bis zum Änderungsgesetz vom 6. Oktober 1997 (LSA-GVBl., S. 878) geltende - verfassungswidrige - Auslegung des KAG durch das OVG LSA noch Bestand haben kann und ob sich nun deshalb nicht Konsequenzen für solche Erschließungsmaßahmen ergeben müssen, die vor dem 06.10.1997 abgeschlossen waren. Dies bedarf einer gesonderten Untersuchung.

Wolf-Rüdiger Beck