Artikel vom 24.08.2015




Der AZV Wipper-Schlenze hat am 19.08.2015 eine Beitragssatzung verabschiedet. Danach sind für den Erstanschluss 3,78 €/m², für Altanschlüsse (die vor dem Inkrafttreten des KAG LSA bereits bestanden haben) noch 1,02 €/m² anrechenbarer Grundstücksfläche zu bezahlen. Damit ist für den Bereich des ehemaligen Verbandes AZV Hettstedt erstmals eine Beitragssatzung in Kraft. Die Verabschiedung der Satzung war von Tumulten begleitet. Ein Sicherheitsdienst musste die Versammlungsleitung schützen und Verbandsvertreter erhielten im Nachgang anonyme Anrufe und es sollen sogar Morddrohungen ausgesprochen worden sein.

In Sachsen-Anhalt besteht für Kommunen und Verbände eine Beitragserhebungspflicht nach Maßgabe des Kommunalabgabengesetzes. Eine solche Rechtspflicht ergibt sich aus der seit dem In-Kraft-Treten des KAG-LSA-Änderungsgesetz 1996 geltenden Formulierung
in § 6 Abs. 1 Satz 1, wonach die Gemeinden zur Deckung ihres Aufwands Beiträge
„erheben“ (OVG LSA, Beschl. v. 03.09.1998 - B 2 S 337/98 -). Vor diesem Zeitpunkt hatte der Gesetzgeber den Verbänden größere Freiräume zugestanden. Einige Verbände - sowie die Kommunalaufsicht - interpretierten die ältere Rechtslage in der Weise, dass anstelle von Beiträgen eine Anlagenfinanzierung auch über Gebühren erfolgen könne. Diese Möglichkeit besteht jedoch seit einer Änderung des KAG im Jahre 1996 allerdings nicht mehr.
Die Beitragspflicht ist in mehreren Entscheidungen des OVG Sachsen-Anhalt bekräftigt worden. In einer Entscheidung vom 18.03.2005, - 4M 701/04 - führt das Gericht in seinem Leitsatz aus:

" Die Gemeinden und Zweckverbände sind verpflichtet, die Beitragspflicht der durch die Anlage Begünstigten in vollem Umfang auszuschöpfen (Beitragserhebungspflicht)."

Verschiedene Verbände im Land (u.a. auch der AZV Hettstedt und die AöR Weissenfels, AZV Bad Kösen, WWZ Wolmirstedt, VerbGem. Élbe-Heide) sind dieser Verpflichtung jedoch zu keinem Zeitpunkt nachgekommen.

In Hettstedt hatte man nach 1991 von einer Beitragserhebung abgesehen, weil eine Kläranlage schon in DDR-Zeiten errichtet war und zahlreiche Haushalte bereits dort einleiteten. Dies verschaffte dem Verband von Anfang an Gebühreneinnahmen - schon vor dem Beginn neuer Investitionen. Darüber hinaus waren dem Verband von der Stadt Mansfeld Anteile des Anlagevermögens der zentralen Abwasserentsorgung kostenlos zur Verfügung gestellt worden.
Gleichwohl hätten aufgrund der neuen Gesetzeslage Beiträge erhoben werden müssen.

Bedenklich waren daher die Ausführungen in der Rundverfügung 22/10 des Landesverwaltungsamts vom 10.05.2010. Dort wurde zwar auf die Beitragserhebungspflicht hingewiesen. Allerdings mit folgender Einschränkung:

"Ob durch diejenigen Aufgabenträger, die das Modell einer ausschließlichen Gebührenfinanzierung gewählt haben, noch Beiträge zu erheben sind, hängt im Einzelfall davon ab, wie hoch der über Abschreibungen und Zinsen inzwischen erreichte Kostendeckungsgrad der Investitionen ist. Daneben kann der durch eine Beitragserhebung entstehende Verwaltungskostenaufwand im Verhältnis zu den erzielbaren Einnahmen zu berücksichtigen sein. Vor diesem Hintergrund könnte ausnahmsweise von einer Beitragserhebung abgesehen werden, wenn die erforderlichen Investitionen bereits weitgehend über Gebühren finanziert werden."

Mit Schreiben vom 29.07.2001 hatte die alte Verbandsführung in Hettstedt mitgeteilt, dass zu diesem Zeitpunkt 59,1 % des Anlagevermögens "allein durch Abschreibungen" finanziert seien. Die Kommunalaufsicht vertrat in einem Schreiben vom 12.08.2014 daher die Auffassung, dass "das Anlagevermögen [...] über die Abwassergebühren, und zwar über den Anteil der Abschreibungen und der kalkulatorischen Zinsen, finanziert" sei.

Folglich sehe man keinen Anlass, unmittelbare kommunalaufsichtsrechtliche Schritte gegen den Verband einzuleiten. Man sei jedoch (auch wegen der Inhalte eines Prüfberichts des Landesrechnungshofes) im Gespräch mit der Verbandsführung.
Dem Altverband Mansfeld-Schlenze und seinen Mitgliedern hielt die Kommunalaufsicht vor, dass völlig klar gewesen sei, "dass in dem Altgebiet des AZV "Hettstedt und Umgebung" keine Beiträge erhoben werden und das Anlagevermögen gebührenfinanziert sei. Es hinderte sie auch nicht zum 01.01.2013 mit dem AZV "Hettstedt und Umgebung" zu fusionieren." Mit anderen Worten: Man verstehe die Kritik nicht.

Durch das Gesetz zur Änderung kommunalabgabenrechtlicher Vorschriften (GVBl. LSA S. 522). welches am 24. Dezember 2014 in Kraft getreten ist, haben die Verbände nicht nur die Möglichkeit, sondern nach Auffassung der Landesregierung auch die Verpflichtung, noch bis Jahresende nicht erhoben Beiträge nachzuerheben.

Es wurden dort die §§ 13b, 18 Abs. 2 in das KAG LSA eingefügt. Diese legen fest, dass Abgabenfestsetzungen unabhängig vom Entstehen einer Abgabenpflicht zum Vorteilsausgleich mit dem Ablauf des 10. Kalenderjahres, das "auf den Eintritt der Vorteilslage" folgt, ausgeschlossen sind (§13b Satz 1 KAG LSA). Die nach Maßgabe des § 13b zu bestimmende Ausschlussfrist endet aber nicht vor dem Ablauf des Jahres 2015 (§ 18 Abs. 2 KAG LSA).

Soweit Verbände bislang von einer Beitragserhebung Abstand genommen haben, werden sie vom Land nunmehr massiv gedrängt, Satzungen zu verabschieden, um noch bis Jahresende Beitragsforderungen geltend zu machen. Die vom Land eingesetzte "Task Force" spricht von ausstehenden Forderungen in Höhe von ca. 100 Mio. €. Entsprechend groß ist nun der Druck, der auf den jeweiligen Verbandsführungen lastet.

Auch in Weissenfels wurde daher am 09.07.2015 eine Beitragssatzung verabschiedet und Beitragsätze festgelegt (2,02 €² für den Herstellungsbeitrag I; 0,73€/m²) für den Herstellungsbeitrag II. Unmut herrscht dort vor allem in Hinblick auf die speziellen Kosten, welche durch die Abwässer der Lebensmittelindustrie verursacht werden. Die dortige Kläranlage soll auf eine Kapazität von 175.000 EW ausgebaut werden (Weissenfels hat nur rund 33.400 Einwohner). Die Anwohner sind der Auffassung, dass die wesentlichen Mehrkosten für die Kapazitätsausweitung von den Betrieben getragen werden müsste. In der Satzung findet sich hierzu jedoch nichts. Die Erhebung eines Artzuschlages wurde abgelehnt. Offenbar sind auch keine Mehrkostenvereinbarungen mit den betroffenen Betrieben abgeschlossen worden. Die örtliche Bürgerinitiative klagt auf Einsichtnahme in bestehende schriftliche Zusicherungen zwischen der Stadt und den Unternehmen.

Es ist allerdings völlig offen, ob und in welchem Umfang es den betroffenen Verbänden gelingen wird, die Vorgaben des Landes und des Kommunalabgabengesetzes innerhalb des sehr begrenzten Zeitraums rechtswirksam zu erfüllen und Beiträge im erhofften Umfang einzutreiben.
Zahlreiche Fallstricke lauern auf der Wegstrecke:

• Es muss eine rechtswirksame Satzung verabschiedet werden, Viele Satzungen leiden unter formellen oder inhaltlichen Mängeln und könnten in späteren Entscheidungen für unwirksam erklärt werden. Für eine Korrektur ist es nach Ablauf der Übergangsfrist am 31.12. möglicherweise zu spät.

• Die aufwendige Kalkulation der Beitragssätze muss nicht nur auf der Kosten- sondern auch auf der Flächenseite einer Überprüfung standhalten können.
Die Berechnung könnte sich als schwierig erweisen, wenn - wie im Fall Hettstedt - über viele Jahre hinweg teilweise eine reine, Gebührenfinanzierung erfolgte (sofern diese tatsächlich durchkalkuliert war).

• Im Fall von Sondereinleitungen (wie im Fall Weissenfels) wäre zu untersuchen, ob hier möglicherweise der Gleichheitssatz verletzt ist. Das OVG LSA hatte in zwei Entscheidungen vom 10.03.2011 (Az: 4 L 67/09 und 4 L 385/08) darauf hingewiesen, "dass der Gleichheitssatz gebieten könne, die Eigentümer solcher Grundstücke, die in besonders abwasserintensiver Weise genutzt werden, mit höheren Beiträgen zu belasten, wenn die ihretwegen erforderlich gewordene größere Dimensionierung und bessere Ausstattung der Kläranlage auch tatsächlich beitragsfähige Mehrkosten verursacht hat. [...] Die Belastung sämtlicher Grundstückseigentümer mit den Mehrdimensionierungskosten könne bei derartigen Gegebenheiten einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz bedeute."

• Eine offene Frage ist, ob vor dem Hintergrund der Entscheidung des BVerfG die bis zum Änderungsgesetz vom 6. Oktober 1997 (LSA-GVBl., S. 878) geltende - verfassungswidrige - Auslegung des KAG durch das OVG LSA noch Bestand haben kann und ob sich nun deshalb nicht Konsequenzen für solche Erschließungsmaßahmen ergeben müssen, die vor dem 06.10.1997 abgeschlossen waren. Geht man bei verfassungstreuer Interpretation der vor dem 06.10.1997 bestehenden Rechtslage davon aus, dass Beitragspflichten in Erfüllung des gesetzlichen Imperativs ("Die Beitragspflicht entsteht mit Beendigung der Maßnahme...") nur entstehen konnten, wenn bei Beginn der Arbeiten, spätestens aber zu deren Abschluss eine wirksame Beitragssatzung als Rechtsgrundlage vorlag, kommt man zu dem Ergebnis, dass durch das Änderungsgesetz - anders als das OVG LSA meinte - eine neue Rechtslage geschaffen wurde. Ob dieser für Altfälle zulässigerweise Rückwirkung beigemessen werden kann, wäre noch näher zu prüfen.

• Offen ist, ob die vom Landesgesetzgeber gewählte Übergangsfrist zum 31.12.2015 einer verfassungsmäßigen Prüfung standhält. Das OVG LSA hat dies zwar in einer Entscheidung vom 04.06.2015 bejaht und auch das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass Erhebungsfristen von bis zu 30 Jahren zulässig sind, doch dürfte das letzte Wort hierzu dem Bundesverfassungsgericht zustehen. Es ist zu erwarten, dass diese Fragen dem höchsten deutschen Gericht früher oder später vorgelegt werden.

Wolf-Rüdiger Beck