Artikel vom 17.12.2015




Das BVerf hat zur Rechtslage in Brandenburg eine bemerkenswerte Entscheidung getroffen. Es hält dort die rückwirkende Erhebung von Anschlußbeiträgen für rechtswidrig - jedenfalls soweit es sich um Baumaßnahmen handelt, die vor der Rechtsänderung vom 07.12.2003 aufgrund alter Satzungendurchgeführt wurden und die nach alter Rechtslage trotz unwirksamer Satzungen verjährt waren. Das Änderungsgesetz könne keine Rückwirkung entfalten. Denn anders als in der Begründung des Gesetzentwurfs angenommen sei die Änderung nicht als bloße „Klarstellung“, sondern als rückwirkende Veränderung einer anderen, alten Rechtslage zu behandeln.

Allerdings könnte eine ähnliche Situation auch in LSA für die Zeit vor der Rechtsanpassung von 1997 vorgelegen haben. Denn die alte Rechtlage war ja wortgleich mit jener in Brandenburg. Unser OVG hat dies zwar anders ausgelegt, aber wohl erst rückblickend und womöglich nach der bereits in Kraft gesetzten Gesetzesänderung, die es dann als deklaratorisch bezeichnete. Womöglich liegt hier aber doch der Hase im Pfeffer,

Das BVerfG teilt nun also neue Ohrfeigen gegenüber den Landesgerichten - übrigens auch gegenüber den Landesverfassungsgerichten aus. Im Lichte der vorliegenden Entscheidung erweist sich spätestens jetzt die Entscheidung des LVerfG zur authentischen Gesetzesinteretation als ihrerseits verfassungswidrig. Damals hätte das LVerfG zwingend die authentischen Interpretation des Gesetzes durch den Landesgesetzgeber durchwinken müssen (Rückwirkung war wegen unklarer Rechtslage eindeutig zulässig). Aber das ist Schnee von gestern.

Die Gründe des neuen Urteils enthalten nun aber auch viele allgemeine interessante Hinweise, die zB für die Übergangsfristen in LSA und deren Begründung eine Rolle spielen. Die vom Gesetzgeber vorgenommene Abwägung gerät jetzt mächtig ins Wanken.

Zitat:

"Das allgemeine Ziel der Umgestaltung des Abgabenrechts sowie fiskalische Gründe - nämlich das öffentliche Interesse an der Refinanzierung der öffentlichen Abwasserbeseitigungsanlage - rechtfertigen die rückwirkende Abgabenbelastung hier nicht (vgl. BVerfGE 127, 1 <26>; 127, 31 <59>; 132, 302 <331>). Dies gilt auch vor dem Hintergrund der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung, insbesondere den Schwierigkeiten beim Aufbau einer funktionierenden kommunalen Selbstverwaltung, bei der Gründung von Zweckverbänden, der erstmaligen Schaffung von wirksamem Satzungsrecht und der Lösung des Altanschließerproblems (vgl. Verfassungsgericht für das Land Brandenburg, Beschluss vom 21. September 2012 - VfGBbg 46/11 -, juris, Rn. 86; Möller, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rn. 2006 f. ).

Zwar wurde durch die Herstellung der Abwasserbeseitigungsanlage der Wert der angeschlossenen Grundstücke dauerhaft erhöht. Die Bürger haben einen Sondervorteil empfangen, für den sie grundsätzlich die volle nach dem Gesetz entstandene Gegenleistung zu erbringen haben (vgl. BVerfGE 137, 1 <18>; dazu auch BVerfGK 16, 162 <168>; BVerwGE 67, 129 <131 f.>; BVerwG, Beschluss vom 7. Februar 1996 - BVerwG 8 B 13.96 - Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 36, S. 3 <4>).

Das Oberverwaltungsgericht Brandenburg hat in seinem Urteil vom 8. Juni 2000 (- 2 D 29/98.NE -, juris, Rn. 48) allerdings zu Recht darauf hingewiesen, dass die Gemeinden und Zweckverbände durchaus die Möglichkeit hatten, Beitragsforderungen rechtzeitig geltend zu machen und so keine finanziellen Einbußen zu erleiden. § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg a.F. räumte den Gemeinden und Zweckverbänden bereits bei der Satzungsgebung die Möglichkeit ein, die Beitragspflicht nicht schon mit dem Inkrafttreten der Satzung entstehen zu lassen, sondern durch Satzung einen späteren Zeitpunkt für die Entstehung der Beitragspflicht zu bestimmen. Diese Ausnahmeregelung ermöglichte es den Gemeinden und Zweckverbänden, auch in Ansehung der Aufbausituation in Brandenburg zunächst die Voraussetzungen für die verwaltungsmäßig ordnungsgemäße Abwicklung einer Vielzahl gleichzeitig anfallender Beitragsverfahren zu schaffen. Verzichten die Gemeinden und Zweckverbände auf die Inanspruchnahme dieser sie begünstigenden Ausnahmeregelung, dokumentieren sie damit, dass sie des hierdurch gewährten Schutzes nach eigener Einschätzung nicht mehr bedürfen (vgl. OVG Brandenburg, Urteil vom 8. Juni 2000 - 2 D 29/98.NE -, juris, Rn. 48; vgl. für die gleichlautende Bestimmung des § 8 Abs. 7 Satz 2 des Kommunalabgabengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen - KAG NRW - OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18. Mai 1999 - 15 A 2880/96 -, NVwZ-RR 2000, S. 535 <536 f.>).

Darüber hinaus konnten die Gemeinden und Zweckverbände vor der Neuregelung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg auch nicht davon ausgehen, dass ihnen nach dem Erlass der ersten Beitragssatzung mehr als die gesetzliche vierjährige Festsetzungsfrist bleiben würde, um Beitragsbescheide gegenüber den Beitragspflichtigen zu erlassen. Denn sie mussten bei pflichtgemäßem Verhalten wenigstens selbst von der Wirksamkeit der eigenen Beitragssatzung ausgehen. Sie hätten damit Anlass gehabt, die Beitragspflichtigen innerhalb von vier Jahren nach Ablauf des Jahres ihres ersten Satzungsbeschlusses zu veranlagen. Dass die Beklagte dies in den vorliegenden Fällen nicht rechtzeitig getan hat, fällt in ihren Verantwortungsbereich (vgl. VG Frankfurt (Oder), Urteil vom 28. August 2006 - 5 K 2024/04 -, juris, Rn. 62)."

Soweit die Ausführungen des BVerfG.

Fraglich ist nun, ob vor dem Hintergrund dieser Auffassung, welche die vom Landesgesetzgesetzgeber bei der Formulierung und Begründung der aktuellen Übergangsfrist vorgenommene Abwägungsbegründung erhebllich in Frage stellt, das Gesetz verfassungsrechtlich noch zu halten ist.