Artikel vom 04.03.2016




Eine Rechtslage, die dazu führt, dass die Verjährung von Beitragsforderungen "unter Umständen erst Jahrzehnte nach dem Eintritt einer beitragspflichtigen Vorteilslage" beginne, sei verfassungsrechtlich problematisch. Dies gab das BVerfG in seiner Entscheidung vom 05.03.2013 zu bedenken.

Allerdings lag dem BVerfG mit dem bayerischen KAG ein Gesetz vor, das keine zeitliche Obergrenze kannte.

Darauf verweist das OVG LSA nun in seiner neuesten Entscheidung vom 17.2.2016. Dort setzt es sich erneut ausführlich mit der Frage auseinander, ob die Überleitungsvorschrift des § 18 Abs. 2 KAG LSA den Vorgaben des BVerfG entspricht. Denn - so räumt es ein - ermöglichte diese Frist den Verbänden noch bis zum 31.12.2015, jahrzehntealte Beitragsforderungen zum Entstehen zu bringen und einzutreiben.

Dies sei verfassungsrechtlich unbedenklich, weil das KAG inzwischen durch § 13 b eine Höchstfrist von 10 Jahren (nach Beginn der Vorteilslage) eingeführt habe. Insofern sei der Prüfungsmaßstab hier ein anderer als im bayerischen Fall.

Zweieinhalb Jahrzehnte sind insofern - nach Auffassung des OVG LSA - eben nicht "mehrere Jahrzehnte" im bayerischen Sinn.

Dem Gesetzgeber stünde ein weiter Gestaltungsspielraum zu und es sei legitim und geboten, die Interessen der Verbände, gegenüber den Interessen der Beitragspflichtigen an Rechtssicherheit abzuwägen. Dies habe der Gesetzgeber in Sachsen-Anhalt durch die Einfügung einer Überleitungsbestimmung in zulässiger Weise getan.

Zur Prüfung des Abwägungsergebnisses greift das OVG auf alte Argumente zurück:

Es seien nun einmal die besonderen Verhältnisse der Wiedervereinigung und die Gründungsschwierigkeiten der Verbände zu berücksichtigen. Es müsse bedacht werden, dass die Beitragspflichtigen über einen Dauervorteil verfügten, der weit in die Zukunft reiche. Die dem öffentlichen Recht nicht fremde 30-jährige Verjährungsfrist des § 53 Abs. 2 VwVfG werde nicht überschritten und schliesslich hätten die Verbände bis zur Entscheidung des BVerfG vom 05.03.2013 darauf vertrauen dürfen, Beitragsforderungen zeitlich unbegrenzt geltend machen zu können.

Das BVerfG hat diese Argumente aber bisher stets als nachrangig bezeichnet und dem Vertrauensschutz der Bürger und dem Gebot der Rechtssicherheit Vorrang eingeräumt und es hat sehr klar das Schutzbedürfnis der Verbände herabgestuft, weil diese von der durch das KAG eingeräumten Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hätten, die Beitragspflicht per Satzungsbestimmung vom Erlass der Satzung abzukoppeln und hierfür "einen späteren Zeitpunkt" zu bestimmen.
Auf dieses bemerkenswerte und gewichtige Argument des BVerfG geht das OVG leider mit keinem Wort ein!
Bedenklich ist auch das Argument des OVG, Verbände hätten auf die Bestandskraft einer verfassungswidrigen Rechtslage vertrauen dürfen. Dem ist nicht so.

Jahrzehnte sind also in Sachsen-Anhalt nicht immer Jahrzehnte - wenn es nach dem Verständnis des OVG geht. Die Überleitungsfrist des § 18 Abs. 2 eröffnet einer ursprünglich verfassungswidrigen Rechtlage per Reflex noch eine verschämte (oder unverschämte?) Gnadenfrist. Hierfür hat das BVerfG in seiner Entscheidung aber gerade keine Ermächtigung erteilt.
Die Überleitungsvorschrift hält auch einem anderen Rechtfertigungsdruck nicht stand: Wieso ein Jahr, warum nicht 1,5 oder 2 Jahre, warum nicht 6 Monate? Hier entstehen Fragen zum Gleichheitsgebot und zum Willkürverbot.

Das OVG hat nun die Gelegenheit versäumt, per Erkenntnisgewinn vergangene Fehldeutungen der Verfassung konsequent zu korrigieren. Es wäre an der Zeit gewesen. Man hätte sich an der Konsequenz und am Mut des OVG BBG ein Beispiel nehmen sollen.
Es ist an der Zeit, dass nun das BVerfG auch für Sachsen-Anhalt ein Machtwort spricht.

Wolf-Rüdiger Beck