Artikel vom 24.01.2017




Mit knapper Mehrheit (4:3) hat das LVerfG LSA am 24.01.2017 die Verfassungsmäßigkeit der Überleitungsbestimmung des § 18 Abs. 2 KAG LSA bestätigt.

Allerdings ist auch mit dem Urteil vom 24.01.2017 noch lange nicht das letzte Wort gesprochen. Der bereits eingeleitete Weg zum Bundesverfassungsgericht kann im Ergebnis auch das Urteil des Landesverfassungsgerichts wieder aufheben und zu einem günstigeren Ergebnis für die Bürger führen.

In einem Minderheitenvotum legen 3 der Verfassungsrichter ihre abweichende Meinung dar. Nach ihrer Auffassung ist die gesetzliche Regelung jedenfalls insoweit verfassungswidrig, soweit sie die Erhebung von Anschlußbeiträgen für bis 1992 hergestellte Grundstücksanschlüsse erlaube. Denn insoweit entfalte § 18 Abs. 2 KAG LSA eine echte Rückwirkung, weil sie nachträglich in einen abgeschlossenen Sachverhalt eingreife. Begründet wird diese Auffassung wie folgt:

Nach gefestigter Rechtsprechung des OVG LSA stellte die Gesetzesänderung von 1997 nur die bisherige Rechtslage klar und hatte keinen ändernden Charakter. Diese Auffassung habe dazugeführt, dass eine Beitragserhebung auch heute noch möglich sei.Für die Rechtslage vor 1997 beruhe diese Rechtsprechung jedoch nicht auf dem zwingenden Wortlaut der Norm, sondern auf deren (ergänzender) Auslegung durch das OVG. Diese durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit vorgenommene Auslegung der Norm des § 6 Abs. 6 KAGLSA 1991 beinhalte aber einen Verstoß gegen das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit, denn sie ermögliche eine zeitlich unbegrenzte Inanspruchnahme der Beitragspflichtigen.

Die vom Oberverwaltungsgericht vorgenommene Auslegung des § 6 Abs. 6 KAG LSA 1991 könne - anders als die Mehrheit meine - deshalb nicht aufrechterhalten werden. Vielmehr sei auf den klaren unzweideutigen Wortlaut der Vorschrift abzustellen, deren Regelungsgehalt bei wörtlicher Auslegung durchaus verfassungsgemäß sei.

Für das Entstehen der Beitragspflicht bedürfe es nicht des ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals „Vorhandensein einer Satzung“. Die Beendigung der Maßnahme sei hierfür ausreichend. Lediglich für die nachfolgende konkrete Inanspruchnahme der Bürger durch Beitragsbescheid bedürfe es einer Satzung, was sich aus § 2 Abs. 1 KAG LSA ergebe. Dieses Satzungserfordernis stelle eine Folge des Vorbehaltes des Gesetzes dar, der dem Schutz des Bürgers vor ungerechtfertigter Inanspruchnahme diene.

Es begegne schwerwiegenden Bedenken, wenn eine Regelung, die dem Schutz des Bürgers diene, nunmehr Rechtswirkungen zu seinen Lasten dadurch entfalte, dass die Auslegung dahin erfolge, dass die Frist zur Festsetzungsverjährung ohne Verabschiedung einer wirksamen Satzung nicht zu laufen beginne.

Die hier vorgenommene wörtliche Auslegung der Norm schränke das Recht der Kommunen zur Abgabenerhebung nicht in unzulässiger Weise ein. Die Kommunen konnten seit 1991 Anschlussbeiträge erheben. Unterließen sie es, weil, obwohl die gesetzliche Möglichkeit bestand, sie die satzungsrechtlichen Voraussetzungen nicht schaffen wollten oder nicht rechtzeitig konnten, hätte der Gesetzgeber, wie er es später auch getan habe, frühzeitig Änderungen am Kommunalabgabengesetz vornehmen müssen.

Lege man diese verfassungskonforme Auslegung der Norm zugrunde, bestanden die gesetzlichen Voraussetzungen für die Heranziehung der Anschlussnehmer seit 1991, so dass für alle, bei denen die beitragsfähige Maßnahme bis zum 31.12.1992 abgeschlossen war, längst Festsetzungsverjährung eingetreten sei.

In diese bereits abgeschlossenen Sachverhalte habe der Gesetzgeber in unzulässiger Weise durch echte Rückwirkung eingegriffen. § 18 Abs. 2 KAG LSA n. F. eröffne in Fällen, in denen Beiträge nach der alten Rechtslage wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung nicht mehr erhoben werden konnten, nun erneut die Möglichkeit, die Beitragsschuldner zu Anschlussbeiträgen heranzuziehen. Daher liege eine unzulässige echte (!) Rückwirkung vor.

Mit dieser ARgumentation befindet sich die Minderheitsmeinung im Einklang mit der Argumentation der Linken beim LVerfG und im Einklang mit der Rechtsauffassung der Bürgerinitiativen und Haus & Grund.

Diese Argumentation wurde jedoch von der Mehrheitsmeinung des LVerfG nicht geteilt. Vielmehr unterstützten diese die Auslegung es OVG LSA, die von der Minderheitsmeinung und von den Bürgerinitiativen als eindeutig verfassungswidrig betrachtet wird. Die Mehrheit argumentiert fragwürdig wie folgt:

Auch vor der Klarstellung durch den Gesetzgeber konnte die Beitragspflicht nicht vor dem Inkrafttreten einer (wirksamen) Beitragssatzung entstehen.
Der durch die Grundrechte der Landesverfassung wie des Grundgesetzes und das Rechtsstaatsprinzip mit Verfassungsrang gewährleistete Vorbehalt des Gesetzes wie seine einfachgesetzliche Konkretisierung im Satzungsvorbehalt nach § 2 Abs. 1 KAGLSA fordert für die Erhebung von Beiträgen die Regelung der Beitragsmaßstäbe in einer Beitragssatzung.

Dementsprechend habe auch die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte für die Entstehung der Beitragspflicht zu Recht eine wirksame satzungsrechtliche Grundlage
gefordert.

Die Mehrheitsmeinung übersieht aber etwas Entscheidendes:
Das LVerfG geht auf die verfassungsrechtliche Problematik dieser Auslegung nicht ein und verkennt somit das rechtsstaatliche Gebot verfassungskonformer Auslegung. Es mag ja sein, dass die Beitragserhebung von der Vorlage einer wirksamen Satzung abhängig gemacht werden muss, doch hätte dies nach alter Rechtslage vor dem Abschluss der Baumaßnahme geschehen müssen oder die Satzung hätte eben mit einer Rückwirkung versehen werden müssen. Denn das Gesetz forderte damals, dass die Beitragspflicht mit der Beendigung der Maßnahme zu entstehen habe. Dies impliziert, dass bis zu diesem Zeitpunkt alle Voraussetzungen -inkl. einer wirksamen Satzung - vorliegen mussten.

Demnach kann nicht überzeugend argumentiert werden, dass die Änderung des KAG 1997 lediglich deklaratorisch und nicht konstitutiv gewesen sei.

Offenbar hat das Gericht hier nicht die Rechtsprechung des BVerfG im Blick gehabt:
(B. v. 17.12.2013, -1 BvL 5/08-)

"Eine nachträgliche, klärende Feststellung des geltenden Rechts durch den Gesetzgeber ist grundsätzlich als konstitutiv rückwirkende Regelung anzusehen, wenn dadurch eine in der Fachgerichtsbarkeit offene Auslegungsfrage entschieden wird oder eine davon abweichende Auslegung ausgeschlossen werden soll."

Dies war aber durch die Novelle 1997 eindeutig der Fall, wie das Minderheitenvotum überzeugend aufzeigt.

Das Urteil ist - nach unserer Auffassung - in diesem Punkt schlicht verfassungswidrig, denn es verkennt das Gebot verfassungskonformer Auslegung - worauf die Minderheitsmeinung zu Recht mit deutlichen Worten hinweist.

Das Urteil kommt allerdings nicht ganz unerwartet, denn die Erfahrung zeigt, dass Landesverfassungsgerichte häufig eher in Kontinuität zur verfehlten Rechtsprechung des OVG LSA urteilen. Auch in Brandenburg hatte das Landesverfassungsgericht die verfassungsgerichtliche Problematik zunächst verkannt und musste vom Bundesverfassungsgericht korrigiert werden.

Die Bürgerinitiativen und Haus und Grund werden daher das beim BVerwG anhängige Musterverfahren weiterführen. Daran ändert das Urteil des LVerfG nichts. Das letzte Wort in dieser Frage bleibt dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten.

Wolf-Rüdiger Beck

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