Artikel vom 24.11.2017




Mit Beschluss vom 05.03.2013 hatte das BVerfG entschieden, dass es notwendig ist, im Kommunalabgabenrecht eine abschließende Zeitgrenze zu normieren, bis zu der Beitragspflichtige nach Entstehen der Möglichkeit zur Inanspruchnahme einer öffentlichen Wasserversorgungs- oder Abwasserbeseitigungsanlage mit der Erhebung von Anschlussbeiträgen rechnen müssen. Demnach war der Gesetzgeber dazu verpflichtet, z.B. durch Verjährungsregelungen sicherzustellen, dass Anschlussbeiträge nach Eintritt einer beitragspflichtigen Vorteilslage nicht zeitlich unbegrenzt festgesetzt werden können.

In Sachsen-Anhalt hat der Landesgesetzgeber daraufhin des Kommunalabgabengesetz durch Einfügen des § 13 b und § 18 Abs. 2 KAG novelliert. Seitdem gilt grundsätzlich, dass Abgabenfestsetzungen mit Ablauf des zehnten Kalenderjahres, das auf den Eintritt der Vorteilslage folgt, ausgeschlossen sind.

Unklar ist aber geblieben, WANN von einem Eintritt der Vorteilslage gesprochen werden kann.

Das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt beschreitet in dieser Frage nun einen Weg, der die genannten Vorschriften durchaus aushebeln könnte. Es vertritt in einer Entscheidung vom 29.09.2017 (4 M 131/17) die Auffassung, dass die Vorteilslage jedes Mal ganz neu entstehen könne, wenn Verbände sich zusammenschließen oder eine Gemeinde auch nur einem Zweckverband beitritt. Denn dann sei die ursprüngliche Anlage, für deren Errichtung ein Beitrag zu fordern war, nicht mehr identisch mit der aktuellen Anlage nach dem Zusammenschluss oder Beitritt.

Das Kommunalabgabengesetz beziehe sich in der Frage der Zulässigkeit einer Beitragserhebung aber stets auf die Anlage eines ganz bestimmten Einrichtungsträgers. Das bedeutet, dass bei den beschriebenen rechtlichen Änderungen in der Trägerschaft der Verbände durchaus neue Beitragspflichten für die dann entstandene "neue Gesamt-Anlage" entstehen könnten.
Selbst wenn bereits Beiträge entrichtet worden seien, hindere dies nicht eine neue Beitragserhebung, weil hier der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung nicht schütze. Denn es werde ja dann kein nochmaliger Beitrag für die alte Anlage erhoben, sondern ein neuer Beitrag für die - rechtlich - neue Anlage, die man durch einen Zusammenschluss oder einen Beitritt aus der Taufe gehoben habe.

Vertreter von Verbänden begrüßen bereits, dass sich den Aufgabenträgern durch eine solche Auffassung neue Möglichkeiten der Refinanzierung eröffnen.

Geht man davon aus, dass es im Land Sachsen-Anhalt seit 1991 nach Inkraftreten des KAG flächendeckend und über Jahre hinweg immer wieder zu Neugründungen, Zusammenschlüssen und zu Erweiterungen bestehender Verbände gekommen ist, dann könnte argumentiert werden, es seien hierdurch stets neue Beitragspflichten entstanden. Die Problematik eines Herstellungsbeitrages II würde sich vor diesem Hintergrund gar nicht mehr stellen.

Auch aktuelle Verjährungsfragen wären vor diesem Hintergrund neu zu bewerten.

Für den Bürger gäbe es im Hinblick auf die Beitragserhebung trotz des neu eingefügten § 13 b KAG keine Gewissheit mehr, trotz Zeitablaufs von Beitragserhebungen verschont zu werden.

Durch eine solche Betrachtung könnten für die Kommunen und Verbände die Folgen der eingangs geschilderten Rechtsprechung des BVerfG gemildert werden. Ob das BVerfG dem folgen wird, darf allerdings bezweifelt werden. Denn der Beitritt einer Gemeinde in Brandenburg zu eine Zweckverband hatte das Gericht nicht davon abgehalten jenen Fall im Verbund mit anderen Fallgruppen seiner Aufsehen erregenden kritischen Entscheidung vom 12.11.2015 (1 BvR 2961/14) für die Rechtslage in Brandenburg zugrunde zu legen.

Die endgültige Klärung dieser Frage wird davon abhängen, ob man die beitragsrelevante "Vorteilslage" anlagenbezogen oder grundstücksbezogen definiert. Wenn die Rechtfertigung der Erhebung eines Beitrages darin gesehen wird, dass sich der Gebrauchsvorteil eines Grundstücks durch die Anschlussmöglichkeit erhöht, dann bliebe zu prüfen, ob sich durch den Beitritt einer Gemeinde zu einem Zweckverband oder durch den Zusammenschluss von Zweckverbänden dieser grundstücksbezogene Vorteil nachträglich erhöht. Das erscheint allerdings fraglich.

Es ist jedoch nicht zu übersehen, dass in der Tendenz die Rechtsprechung auch in anderen Bundesländern der nun vom OVG LSA eingeschlagenen Richtung folgt. In Brandenburg hat das dortige OVG (OVG 9 S 14.16) zwar inzwischen präzisiert, dass es nur noch dann von einer beitragsrechtlich "neuen Anlage" ausgeht, wenn gleich starke Zweckverbände sich "auf Augenhöhe" zusammenschließen. Der Beitritt einer Gemeinde zu einem Zweckverband könne dann die Feststellung einer Anlagenkontinuität nicht hindern.

Das OVG LSA hat sich einer solchen Differenzierung aber in der zitierten Entscheidung noch verschlossen und vielmehr - traditionell - einer fiskalpolitisch orientierten Betrachtungsweise den Vorzug gegeben.

Für die betroffenen Bürger bedeutet diese Rechtsprechung eine massive Schwächung ihre Rechtsposition und eine weitere Beeinträchtigung ihrer Verteidigungsmittel. Hier ist zum Einen die Politik gefragt, die für eine rechtsstaatliche Klarstellung Sorge tragen sollte, die dem Gebot der Rechtssicherheit Geltung verschafft. Zum Anderen wird sicherlich das BVerfG berufen sein, das letzte Wort auch in dieser Frage zu sprechen.

Wolf-R. Beck