Artikel vom 19.10.2021




Das BVerwG hat im Anschlussbeitragsrecht einer Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte des Landes Sachsen-Anhalt und Brandenburg Einhalt geboten, welche die Grundsätze des Vertrauensschutzes und des Gleichheitssatzes verletzt hat. In diesem Blog hatten wir schon am 24.11.2017 auf die problematische Entwicklung hingewiesen. Es ist nun gelungen, eine Entscheidung des BVerwG herbeizuführen, welche die rechtsstaatlichen Grundsätzen wieder Gehör verschafft.

Zum Hintergrund:

Geht die Aufgabe der Abwasserbeseitigung von einer Gemeinde auf den Zweckverband über oder tritt ein kleinerer Verband einem größeren bei oder schließen sich gleich große Verbände auf Augenhöhe zu einer neuen Rechtseinheit zusammen, ergeben sich möglicherweise beitragsrechtliche Konsequenzen. Es wird vertreten, dass bei Zusammenschlüssen von Einrichtungsträgern neue Herstellungsbeitragsansprüche entstehen können (OVG Thüringen, B. v. 03.05.2007, - 4 EO 101/07-; OVG MV, B. v. 11.03.2019, - 1 L 137/12 –; OVG BBG, 01.07.2019, - OVG 9 N 77.18).

Die damit verbundenen Interessenkonflikte führen zu schwierigen Rechtsfragen, welche bis heute noch nicht zufrieden stellend geklärt sind. So ist bereits die rechtssichere Abgrenzung zur beitragsfreien Erweiterung einer Anlage problematisch. Daneben stellt die Forderung nach einem Belastungsausgleich für diejenigen Nutzergruppen, welche bereits im Zusammenhang mit der Beitragserhebung des beitretenden Rechtsträgers entgeltliche Leistungen erbracht haben, die Rechtsprechung vor immer neue Herausforderungen. Schließlich erscheint die Einordnung und Bewertung jener Fallgruppen offen, deren Beitragsschuldverhältnis gegenüber der beitretenden Einrichtung durch Verjährung erloschen war.

Das OVG Sachsen-Anhalt hat sich in mehreren Entscheidungen zu diesen Fragen verhalten (OVG LSA, U. v. 22.09.2020, - 4 L 96/18; U. v. 20.08.2019, - 4 L 134/17 -; B. v. 29.07.2019, - 4 M 120/19 -; B. v. 29.09.2017, - 4 M 131/17 -). Im Ergebnis verknüpft es die verfassungsrechtlich geschützten Rechtspositionen der Beitragsschuldner mit dem Schicksal der jeweiligen Einrichtung. Ausgehend von einem "konkret einrichtungsbezogenen Vorteilsbegriff" weist es dem neuen Einrichtungsträger die Befugnis zu, neue Herstellungsbeiträge auch dann zu erheben, wenn sich durch einen Zusammenschluss an den technischen Begebenheiten für die Anlieger der beitretenden Gemeinde nichts verändert. Selbst ein verjährter Altanspruch hindert nicht eine neue Beitragsveranlagung - auch dann nicht, wenn bisherige Beitragszahler im Eingliederungsvertrag ausdrücklich privilegiert werden. Zwar müssten Doppelzahlungen vermieden werden, aber für ehemals verjährte Beitragsforderungen stelle sich das Problem der Doppelzahlung nicht.

Der Kernsatz der Entscheidung des OVG Magdeburg hierzu lautete:
Insbesondere gebieten weder das Gleichbehandlungsgebot noch das Äquivalenzprinzip auch die Freistellung von Grundstückseigentümern von der Beitragspflicht für die Herstellung der öffentlichen Einrichtung des Beklagten , die - wie die Klägerin - nicht zu einem Herstellungsbeitrag für die öffentliche Einrichtung der Gemeinde B. herangezogen worden sind.

Dem hat das BVerwG durch eine grundlegende Entscheidung vom 06.10.2021 (9 C 10.20) nun deutlich widersprochen.
Der Grundsatz des Vertrauensschutzes gelte auch bei einem Wechsel des Einrichtungsträgers. Eine Beitragserhebung durch den neuen Einrichtungsträger sei mit diesem Grundsatz nicht vereinbar, soweit sie sich auf Herstellungsaufwand beziehe, für den der Beitragspflichtige durch den früheren Einrichtungsträger wegen Festsetzungsverjährung nicht mehr zu Beiträgen hätte herangezogen werden können.

Soweit gezahlte, nicht aber festsetzungsverjährte Beiträge für die frühere Einrichtung angerechnet worden seien, verstoße diese Privilegierung der Zahlungsfälle außerdem gegen den Gleichheitssatz.

Diese Erwägungen finden sich deckungsgleich bereits in der Entscheidung des VG Potsdam vom 22.06.2016, - 8 K 2979/14 -. Dort heißt es zutreffend:

"Der Zahlung des Beitrags an den vormaligen Träger der Einrichtung steht es zunächst gleich, wenn bereits im Hinblick auf die Beitragsforderung des vormaligen Einrichtungsträgers Festsetzungsverjährung eingetreten war. Denn diese bringt ebenso wie eine bewirkte Zahlung den geltend gemachten Anspruch gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG i. V. m. § 169 AO letztlich zum Erlöschen (vgl. Kruse in: Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand: Januar 2016, Vorbemerkung 2 zu § 169 AO). Die Festsetzungsverjährung dient der Verwirklichung des Gebots der Rechtssicherheit und ist Ausdruck des verfassungsrechtlich verankerten Rechtsstaatsprinzips. Der Schuldner einer einem Hoheitsträger geschuldeten Leistung soll von der Zahlungsverpflichtung zu einem vorhersehbaren, feststehenden Zeitpunkt endgültig befreit sein, wenn der Hoheitsträger die Festsetzung nicht bis dahin in Angriff nimmt. Soweit die vormalige Beitragsschuld infolge Festsetzungsverjährung nicht mehr geltend gemacht werden kann, befindet sich der Beitragsschuldner in derselben Situation, die entstanden wäre, hätte er auf den festgesetzten Beitrag gezahlt. Demgemäß muss bei Eintritt der Festsetzungsverjährung einer vorangegangenen Beitragsschuld diese bei der Neufestsetzung eines Beitrags ebenso Berücksichtigung finden wie eine bereits gezahlte Beitragsschuld."

Dass diese Selbstverständlichkeit von den Obergerichten konsequent ignoriert wurde, muss beunruhigen.
Darüber hinaus könnte nun auch der "konkret einrichtungsbezogene" Vorteilsbegriff des OVG Magdeburg auf dem Prüfstand stehen. Denn die Abgeltung eines Altvorteils bleibt nach Auffassung des BVerwG trotz eines Zusammenschlusses unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes weiterhin rechtsbedeutsam. In erfreulicher Deutlichkeit wurde klargestellt, dass verjährte Sachverhalte gegenüber Beitragsfällen nicht nachteilig geregelt werden dürfen.

INKA sieht sich nun in seiner Rechtsauffassung und in seiner Kritik am Urteil des OVG Magdeburg vom 20.08.2019 bestätigt.

Allerdings liegen die vollständigen Urteilsgründe noch nicht vor. Diesen wird nun mit Interesse entgegengesehen. Wir erhoffen dort weitere Hinweise des BVerwG zum Verfahren und zur problematischen Rechtsauslegung durch das OVG Magdeburg, die zu einer unübersichtlichen Rechtslage in Sachsen-Anhalt geführt hat. Neben den Argumenten, die vom BVerwG in einer Vorabmitteilung vom 06.10.20121 beschrieben wurden, bedürfen noch zahlreiche, weitere Einzelfragen einer näheren Betrachtung und Klärung.


Wolf-R. Beck

Link: